©Ewa Juszkiewicz, Foto Michaela Schabel
Monatelang war Jörg Ludwig damit beschäftigt in allen Medien KünstlerInnen zu finden und zu kontaktieren, um sie für „Going Baroque“ zu rekrutieren. Wichtig sind ihm originäre Künstlerhandschriften fern reproduzierter Stile. Seine Leistung ist es die verschiedenen Bilder, die die KünstlerInnen zur Verfügung stellten, so zu kuratieren, dass die barocke Denkweise von einst in den Kunstwerken von heute erlebbar wird.
Es ergeben sich vor allem in den zentralen Räumen des Erdgeschosses überraschende Synergieeffekte. Jedes Bild zeigt barocken, ganz eigenwilligen Farben- und Formenrausch. Ewa Juszkiewicz’ Frauenporträt in altmeisterlicher Pose und historischer Kostümierung verdeutlicht einmal mehr das Ausstellungsthema. Augen, Nase, Mund, unter dem Haarberg auch die Ohren mit einem Seidenschal verbunden wird die barocke Botschaft zwischen „Carpe diem!“ und „Vanitas“ als plakatives Ignorieren ironisiert. Nutzlos sind die historischen Erfahrungen, nichts wurde daraus gelernt.
Gerade durch die fast zuckrig zarten Farbtöne, plastisch weichen Modulationen in dem sich ein gesticktes Fadenknäuel ausbreitet, wirkt Gretta Louws Pigmentdruck „Knot Theory“ in diesem Kontext wie eine dystopische Landschaft.
Stefanie Kabitzkes Abstraktionen entwickeln einen energetischen Sog in die Dunkelheit, in der leuchtende Farbakzente nur noch wie fragmentierte Reste der Lebensfreude auftauchen.
Prunk und Freude ergeben sich in dieser Ausstellung gerade in den kleineren Formaten. Alfonso Fratteggiani-Bianchis „Rosso“ (2019), ein monochrom rotes Rechteck, lässt leidenschaftliche Emotionalität aufleben und Till Augustins Quader aus blattvergoldeten Stahlseilen, vermittelt wie getitelt „Die Verlockung des Goldes“ (2022), die aber auch nur das innere Grau übertüncht.
©Michaela Schabel
Die üppigen Blumen-Stillleben Luzia Simons verwelken bereits, möglich durch das technische Verfahren. Die Künstlerin selbst spricht von „digitalem Barock“. In einem von ihr entwickelten langwierigen Scanning-Prozess werden die arrangierten Blumen und Pflanzen langsam gescannt. Die dabei entstehende Hitze beschleunigt den Verwelkungsprozess, wodurch opulente Schönheit und morbides Verwelken gleichzeitig zur Wirkung kommen.
In den eigenen Wohnräumen demonstriert Jörg Ludwig, wie „Das Neue Barock“ heutigen Lebensstil belebt. Wanda Stolles großes Wandrelief, ein verschlungenes „Band“ aus Biegeholz wird wie eine Geschenkschleife zur Metapher übersteigerten barocken Lebensgefühls und hinterfragt in Dunkelanthrazit zugleich den Inhalt des assoziierbaren Lebensgeschenks. Frank Stellas „The Whole Watch“ (1994) bringt das Ausstellungsthema voll auf den Punkt. Es vermittelt barocke Diesseits-Jenseits Mentalität als ausbalancierte Farb-Formgefüge, durchaus als reflektierende Denkweise mit meditativer Wirkung denkbar.
„The Whole Watch“, Frank Stella©Frank Stella, Foto: Michaela Schabel
Ganz konträr dazu ist Gretta Louws „After the year we´ve had, we could use a little…“ an der Decke statt religiöser Erbauung eine hoch explosiv wie ein „Memento Mori!“ unserer Zeit. Es gibt viel zu entdecken, auch in den Werken von Alisa Margolis, Antonella Zazzera, Margareta Hesse, Dave Bopp , Lev Khesin und Pia Fries.
Zu sehen ist „Going Baroque – Das Neue Barock“ über die Jahreswende bis 21. Januar, außer 23.Dezember 2022 und 7. Januar 2023.