Magret Pracht©Kammerspiele Landshut
Während die Deutschen in Polen einfallen, dann im Westen und in Russland erlebt dieses Mädchen ihre Wirkung auf Jungs. Ihre Aufzeichnungen kreisen um die Liebe, die Flirts in der Schule, beim Baden, Tanzen und Wintersport. Die Bewunderung der Jungen dopaminisiert Margret. „Das Leben ist so schön“ durchzieht dieses Tagebuch leitmotivisch. Diese Margret bleibt in der Tanzstunde nie sitzen, kann unter ihren Verehrern auswählen, ist aber trotz aller Koketterie „kussscheu“ und erkennt schließlich, „es ist doch schöner mit einem zu gehen als mit mehreren“.
Silvester resümiert sie 1941 war, „abgesehen von den Kriegsopfern, eines der schönsten Jahre ihres jungen Lebens.“ Der Krieg taucht nur als Außenereignis in kurzen Sätzen auf. Arbeitsdienst statt Schule, Todesmeldungen, Bombenalarm beschäftigen dieses Mädchen imgrunde nur wenig. „Wenn nur nicht der Krieg wäre“, schreibt sie wie eine Randbemerkung, zwischendurch ein Satz der Trauer über einen gefallenen Soldaten, eine Bemerkung, andere besser verstehen zu können und schon wieder ist Margret bei ihrem Lieblingsthema, bei der Liebe.
Das klingt ziemlich flach, das pure Gegenteil zu „Anne Frank“ oder „Sophie Scholl“, aber sicherlich gab es in jenen düsteren Zeiten diese unbeschwerte Form des Jungseins wesentlich häufiger, was aus der Perspektive eines 13-jährigen pubertierenden Mädchens sehr ehrlich und nachvollziehbar ist, aber über die Medien selten vermittelt wird.
Der Clou dieser Inszenierung ist, dass Schauspielerin Katharina von Harsdorf derart authentisch, sympathisch und empathisch liest, dass sie wie die Protagonistin dieses Tagebuchs wirkt, aber eben nicht als pubertierende 13-Jährige, sondern als junge Frau und in diesem Alter stößt eine derartige Ignoranz der Zeitenwende durchaus auf.
©Pablo Leiva
Sven Grunert verstärkt den Erwachseneneffekt, indem er Katharina von Harsdorf in einem spießig bürgerlichen Umfeld hinter einer Sukkulente und einem Kaktus positioniert, und sie immer wieder zu einer überdimensionierten Lupe greifen lässt, um die Originalschrift entziffern zu können, mehr noch um ihr Gesicht hinter der Lupe fragend zu vergrößern, um scheinbar andere Antworten zu finden.
Diese Hinterfragung eines naiven, völlig privaten Individualismus nimmt der Zuschauer mit in seinen Alltag gegenwärtiger Zeitenwenden.
Hinter der Bühne: Sven Grunert (Regie, Projektleiter), Gianna Madiar (Dramaturgie), David Schreck (Kamera), Maria Wimmer (Videoregie),
Auf der Bühne: Katharina von Harsdorf
Die szenische Lesung „Zeitenwenden – Einmal ist man nur jung“ ist über den Streaming-Spielplan der Kammerspiele Landshut zu sehen.