©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
Mit einem Holzwagen zieht Mutter Courage, eine Marketenderin mit ihren drei ledigen Kindern aus drei Ländern den Truppen des Dreißigjährigen Krieges hinterher. Der Krieg scheint sie gut zu ernähren, doch…
die Endbilanz ist erschreckend. Die Kinder sind tot. Jetzt zieht sie den Karren alleine weiter. Brecht wusste, wovon er schrieb. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs entstand „Mutter Courage und ihre Kinder“ im schwedischen Exil. 1941 in Züricher Schauspielhaus uraufgeführt, am Deutschen Theater 1949 im zerbombten Berlin zum ersten Mal zu sehen, rückt das Stück, jetzt, 65 Jahre später, vor den Kriegsgräueln in der Ukraine und in Israel den Irrsinn jeglicher kriegerischer Auseinandersetzung ins Bewusstsein, gerade weil Brecht aus der Habgier der Menschen sein Stück entwickelt und in diesem Stationendrama durch die Elemente seines epischen Theaters Reflexionen auf das Geschehen ermöglicht.
Das künstlerische Team, Birgit Simmler (Regie) und Serena Beatrice (Ausstattung) verbindet gekonnt mit wenigen Versatzstücken die Szenerie des Dreißigjährigen Krieges mit modern reduzierter Bühnenästhetik, vorwiegend historischen Kostümen und atmosphärischer Lichtregie. Vor dem existenziellen Schwarz leuchtet der Wagen gemütlich als häusliches Zentrum. Zwei weiße, abgenutzte Stoffbahnen verwandeln sich nahtlos in Kriegszelt, Kirche, Haus und final in Kokons menschlicher Geborgenheit. Die Liveband mit Bernd Meyer (Musikalische Leitung, Klavier), Daniel Zacher (Akkordeon), Andrea Paoletti (Schlagzeug), Jörg Hartl (Trompete) schimmert im Hintergrund. Zuweilen wuchtig, meist extrem subtil interpretiert wird Paul Dessaus Musik zwischen Songbegleitung, Jazz, Blues, Dissonanzen oszillierend zum expressiven Gradmesser menschlichen Leids.
Schauspieler übernehmen im fliegenden Wechsel die Erzählerrolle, so dass das Stück im rasanten Tempo von einem Kriegsgeschehen zum anderen eilt, wobei ein kurzer Frieden nur stört, weil Mutter Courage plötzlich keine Geschäfte mehr machen kann. Die Situation ist immer die gleiche, Gewalt mit und ohne Waffen, Verführung und Vergewaltigung, Gewinn und Verlust. Ohne Verfremdungseffekte und oberlehrerhafte Belehrungen von Brechts späteren Stücken verdichtet Regisseurin Simmler die einzelnen Spielsequenzen zu einer spannenden, kohärenten, berührenden Inszenierung, in der trotz aller Not und Grausamkeit die Momente menschlichen Miteinanders aufleuchten. Larissa Sophia Farr als Prostituierte Yvette ganz in flammendem Rot signalisiert über die Magie der Erotik und ihr knallhartes Verhandeln hinaus das Bedürfnis nach Schönheit, Geborgenheit und Zuwendung.
©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
Wenn Mutter Courages malträtierte stumme Tochter (Tabea Günther) auf dem imaginierten Dachgiebel das Nachbardorf wachtrommelt, um sie vor dem Feind zu warnen, erschossen wird und sich der weiße Stoff rot einfärbt, avanciert sie zur einer Jeanne d’Arc. Reinhard Peer als Koch lässt sängerisch durch sein sattes Tonvolumen und seine klare Artikulation aufhorchen.
Beherzt spielt Antonia Reidel die lebenskluge Mutter Courage. Kraftvoll und selbstbewusst outet sie in den Songs, was diese Kriegsgewinnlerin bewegt, die sich entlang den alten Volksweisheiten ihre Überlebensstrategie zurechtzimmert, um ihre Kinder durch den Krieg zu bringen. „Man muss sich nach der Decke strecken…Eine Hand wäscht die andere, mit dem Kopf durch die Wand kommt man nicht voran…Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Doch in der Realität endet ihr Weg in existenzieller Einsamkeit, offerieren sich ihre Sprüche als leere Worthülsen. „Der Mensch denkt, Gott lenkt“, ist die deprimierende Quintessenz. Doch auch die Kirche bekommt bei Brecht ihr Fett ab, wenn der Feldprediger (Jochen Decker) inkognito bei Mutter Courage unterkriecht, sie die Suppe kocht, er das Holz spaltet. Ein einziger Satz verdeutlicht kriegerische Absurdität bis in die Gegenwart. „Der Krieg ist eine Ehr, es ist ein Glaubenskrieg“.