©Landestheater Niederbayern/Peter Litvai
Die Argumentation dieses Schauspielers Olaf S. scheint doch ganz vernünftig, spiegelt Ansichten, die im Alltag oft zu hören sind, ohne als rassistisch oder staatsuntergrabend empfunden zu werden, suchen doch viele Eltern nach einer Schule, in der der multikulturelle Anteil der Kinder möglichst gering ist, fühlen sich inzwischen nicht wenige Menschen in Deutschland von außen fremdgesteuert. Wer träumt nicht zuweilen von der Selbstversorgung auf dem Lande?
Immer mehr redet sich dieser Olaf S. in Rage. Er verlässt die beschreibend distanzierte Außenperspektive und entwickelt sich in seiner Verdrossenheit peu a peu in einen Reichsbürger, der historische Tatsachen verdreht, staatliche Institutionen und Gesetze völlig ignoriert, sein persönliches Ego und seine Freiheit als einziges Paradigma seines Handelns anerkennt. Daraus ergibt sich natürlich gerade in Zeiten der Pandemie auch die Frage, wie viel Reichsbürger in jedem Einzelnen steckt.
Unter der subtilen Personenregie von Christiane Silberhumer gelingt Olaf Schürmann mit einem Minimum an Requisten eine irrlichternde Verdichtung dieses Reichsbürgers bis zur witzig schrillen Groteske. Olaf S. umkreist mit Kreide den Requisten-Rollkasten, auf dem er symbolisch thront. Das ist jetzt sein Revier, sein Staatsgebiet. Er hisst die Fahne, schmückt sich mit einer Schärpe mit den Farben des Deutschen Kaiserreichs, stellt eine eigene Verfassung auf und das Parlament hat seiner Meinung zuzustimmen, falls nötig mit Waffengewalt.
©Landestheater/Peter Litvai
So skurril die Szene ist, das Lachen bleibt einem doch im Halse stecken, zu sehr trifft das Stück „Der Reichsbürger“ die gesellschaftliche Wirklichkeit. Circa 15000 Reichsbürger gab es 2018 laut Verfassungsschutz in Deutschland, als Konstantin Küspert mit seiner Frau Annalena als Ko-Autorin das Stück als Auftragsarbeit für das Theater Münster schrieb. Inzwischen spricht man schon von 18000 Reichsbürgern, völlig heterogene Gruppierungen mit dem gemeinsamen Nenner der Staatsverleugnung und Verweigerung staatlicher Anordnungen. „Der Reichsbürger“ provoziert – in erster Linie zum Nachdenken.