"Kultur macht glücklich"


Landshut – Daniel Kehlmanns systemkritisches Stück „Heilig Abend“ im Landshuter Kammerspiel

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Landshut – Daniel Kehlmanns systemkritisches Stück „Heilig Abend“ im Landshuter Kammerspiel

©Alvise Predieri

Die Zeiger der bühnengroßen Uhr stehen auf 22:32 Uhr. Keine 90 Minuten Zeit verbleiben das angeblich geplante Bombenattentat zu vermeiden, das eben Heilig Abend, an einem öffentlichen Ort wirkungsvoll für Furore sorgen soll, ohne Menschen zu töten, weil sie zu Hause Weihnachten feiern. 

Unter der Regie von Sven Grunert, im Umfeld von Helmut Stürmers raffiniertem Bühnenbild offerieren Anna Schumacher und Johannes Meier eine abgründige Gratwanderung zwischen kapitalistischer Systemkritik, staatlicher Observation und polizeilicher Manipulation.

Das Ticken der Uhr, ein subtiler Sound dazu, wird zum bedrohlichen Puls der Inszenierung. Ein großes Lichtschienenquadrat schiebt sich lautlos vom Boden weit nach oben und verwandelt das Büro mit Blick auf das urbane Umfeld in eine gläsern wirkende Verhörzelle mit denkbaren Beobachtungsszenarien dahinter. Ein paar Weihnachtskugeln, ein kleiner Christbaum als Minisymbole für Bomben und Waffen wirken verloren im nüchternen Umfeld. Das gilt auch für die beiden Personen. Sie bilden ein irritierendes Paar. Anna Schumacher wirkt mit Sonnenbrille und raubkatzengemusterten Stiefeletten im Hosenanzug wie eine Barbypuppe, Johannes Meier in passgenauer Hose, Ringelpullover und mit sonorer freundlicher Stimme wie ein Android. Von der Maske bewusst ausdruckslos geschminkt wirken beide wie Stereotypen und offerieren doch durch ihr Spiel zwei von ihren Ehepartnern verlassene Persönlichkeiten, die ihre Traumata nicht loswerden. 

Sie wurde aus dem gestoppten Taxi geholt, gibt vor nicht zu wissen warum und hat Fragen zu stellen,  deren Antworten, auch wenn sie schweigt, er ohnehin schon durch die exzellente Überwachungsmaschinerie weiß. Mit gleichbleibender Freundlichkeit treibt er sie durch gespieltes Verständnis mit Parallelitäten im Privatbereich im Wechsel mit angelesenem Fachwissen und gezielten Provokationen durch die polizeilichen Recherchen in die Enge. Anna Schuhmacher mauert, argumentiert rhetorisch geschliffen und verfängt sich doch immer mehr in den Fakten der Indizien. Je lauter und schriller sie wird, desto hilfloser wirkt sie, wenn auch ihre rebellische Systemkritik argumentativ stimmt. Als er ihren Exmann, der ebenfalls unter Verdacht steht und verhört wird, immer wieder ins Spiel bringt, verliert sie zunehmend den Boden unter den Füßen. Über das Zoom von Live-Videoprojektionen werden in ihrem Gesicht einstige Beziehungswunden in voller Größe spürbar. Doch das verbale Duell geht weiter mit diskutablen Hypothesen, ohne dass eine Seite als Sympathieträger hervorgeht, womit Bestsellerautor Daniel Kehlmann sein Stück vor propagandistischer Zweckentfremdung schützt. Die Dramatik des Verteilungskampfes ist nach wie vor ungelöst. Die eingespielte Uhr fordert Tempo. „Diese Welt könnte ein Traum sein“ ist nur eine Vision genauso wie die Heilsversprechung von Heilig Abend. 

Künstlerisches Team (Svn Grunert (Regie), Lea Sprenger (Regieassistenz), Irina Kollek (Kostüme), Sandra Brunner/Gerlinde Riedl (Maske), Konstanze Kaysa (Textcollage), Michele Lupi (Technik/Licht), Erika Höcht, Leander Griwodz (Ton/Video)

Es spielen Anna Schumacher, Johannes Meier