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Bochum – Sivan Ben Yishais „Liebe/Eine argumentative Übung“ als Theaterfilm in der neuen Welthütte im Schauspielhaus 

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Bochum – Sivan Ben Yishais „Liebe/Eine argumentative Übung“ als Theaterfilm in der neuen Welthütte im Schauspielhaus 

Jele Brückner©Schauspiel Bochum, Birgit Hupfeld

 „Liebe/Eine argumentative Übung“, für den neuen Spielort, der Welthütte im Foyer des Bochumer Schauspielhauses konzipiert und dann wegen des verlängerten Lockdowns kurzfristig zum Theaterfilm umfunktioniert. Regisseurin Zita Gustav Wende änderte das Konzept, spaltete den Text in zwei Stimmen, auf Ich-Erzählerin und eine größtenteils nonverbal spielende Schauspielerin, die die Protagonistin Olivia Öl in ganz unterschiedlichen Facetten darstellt, sich aus nackter Natürlichkeit, aus Scham über ihren Körper immer mehr einhüllt, bis die Rüschen sie zu ersticken scheinen.

Bochum "Liebe Eine argumentative Übung präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Jele Brückner©Schauspiel Bochum, Birgit Hupfeld

Obwohl der Text wegen der einstündigen Verfilmung stark reduziert werden musste, wirkt er immer noch üppig, denn überaus detailliert, sehr intim geht die Autorin auf Scham und Lust, körperliche Disziplin und Olivias gequälte Seele ein. 

Intellektueller Knackpunkt ist der Begriff der Nemesis. Wie Gegner stehen sich Olivia und Popeye schließlich gegenüber. Doch nur er zehrt in seiner Selbstüberschätzung von ihren Qualitäten, während sie sich in eine Authentizitätskrise hineinmanövriert, immer mehr mit sich hadert und schließlich in seiner Unzulänglichkeit ihre Qualitäten erkennt.

Jahrelang versteckt sie sich hinter der Rolle der Feministin  und intendiert doch ganz konventionell gesellschaftlich als Paar aufzutreten. Die nicht gefeierte Preisverleihung ihres Buch wird zum Leitmotiv seiner Ignoranz und Selbstgefälligkeit. Immer geht es nur um ihn, nicht um sie. Sein Schwanz steht im Mittelpunkt, nicht ihre Vagina, sein Name als Regisseur über ihrem Bild der Serie, in dem sie eine dümmliche Unterhaltungsrolle, wie im Leben könnte man ergänzen, spielt. 

Ihre Frustration wird zum Selbsthass. Wie ein „abgebranntes Streichholz“, eine „knochige Comicfigur“ fühlt sie sich und will doch immer wieder die Beste für ihn sein. Sie spielt die starke Frau, die er haben will, um ein Daheim zu haben, am Sonntag nicht allein zu sein und schweigt der Harmonie willen. Doch sie erkennt, wie sehr sie immer mehr gegen sich arbeitet und befreit sich, zuerst sexuell, dann gesellschaftlich, schafft den Sprung in ein selbstständiges Leben ohne ihn, wandelt sich metaphorisch zur Tigerin, als die sie sich schon als pubertierendes Mädchen gefühlt hat. 

Der Text, wenn auch zuweilen von verstörender Direktheit, ist stark und zeigt messerscharf wie Feminismus sich unter männlicher Selbstüberschätzung anfühlt, gleitet aber am Schluss zu sehr in die sexuelle Schiene ab. Gewöhnungsbedürftig, doch als Kunstfigur selbstoptimiert um die eigene Persönlichkeit kreisend, symbolisch bestens getroffen zieht Jele Brückner nicht zuletzt durch ihre Optik in ihren Bann.

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Jele Brückner©Schauspiel Bochum, Birgit Hupfeld

Sie spielt diese Olivia unter der Regie von Zita Gustav Wende mit stark geschminkten Augen, intensiven Blicken punktgenau zur Erzählstimme und ironisiert die monologischen Endlos-Argumentationen mit dadaistischen „gagagaga“-Kommentaren. Zuweilen spricht sie kurze markante Stellen selbst sehr betont, langsam, wie der Text es grafisch durch Großschreibung und Bindestriche einfordert. Jele Brückner verlässt den Schutzraum der Welthütte. Immer raumgreifender bewegt sie sich durch das Foyer, immer länger werden die Ärmel ihre Kleides, dass man sie wie eine Irre fesseln oder auch aus dem Schutzraum herausziehen könnte.

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Jele Brückner©Schauspiel Bochum, Birgit Hupfeld

Ein Kleid nach dem anderen zieht sie wie Schutzschichten übereinander  und stilisiert sich, mit schwarzen breiten Bändern die Säulen des Foyers umklebend, als kreative Performerin mit aufgesetztem Selbstbewusstsein, bis sie mit nur zwei großen Abfalltüten vermutlich mit ihren abgelegten Rollenroben als imaginierte Tigerin in die Freiheit entschwirrt. 

Das Stück macht nachdenklich. Wer hat nicht ähnliche Situationen wie in „Liebe/ Eine argumentative Übung“ erlebt? Als Lösung  wird leider nur in großer Sprachattitüde die sexuelle Befreiung gezeigt. Das ist die Schwäche des Stücks, auch wenn sich dahinter symbolisch die Gender-Ungerechtigkeiten enthüllen.