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Berlin – Samuel Becketts „Warten auf Godot“ im Berliner Ensemble

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Berlin – Samuel Becketts „Warten auf Godot“ im Berliner Ensemble

©Berliner Ensemble, Foto: Jörg Brüggemann

Meditations-Klangspiele wie im Fernen Osten stimmen die Theaterbesucher schon vor der Vorstellung von „Warten auf Godot“ auf fernöstliches Nirwana ein. Die Bühne signalisiert…

mit lichttechnischem Equipment vor schwarzem Bühnenhintergrund kosmischen Existenzialismus. Wladimir und Estragon agieren in der Optik abgerissener Obdachloser. Im Spannungsfeld von östlicher Sinngebung durch die Seelenwanderung und kapitalistischer Verelendung und Sinnlosigkeit sucht Regisseur Luk Perceval in Becketts Klassiker „Warten auf Godot“ (Uraufführung 1953) in den extremen Kontrasten von Wladimir (Paul Herwig) und Estragon (Matthias Brandt), Lucky (Jannik Mühlenweg) und Pozzo (Oliver Kraushaar) die magnetisch sich anziehenden Kräfte von Yin und Yang, die argumentativen Gräben zwischen Glaube und Zweifel. Existentielle Sinnlosigkeit offenbart Perceval als Folge existentieller Nöte, die er satirisch durch dramaturgische Spektakel in Szene setzt. 

Wladimir und Estragon sind zwei skurrile Figuren, im Grunde nicht für denselben Weg gemacht, aber zur Trennung ist es schon zu spät. Wladimir ist geschwätzig, tourt hippelig über die Bühne, pinkelt ständig in die Hosen und hofft, Ausdruck seiner Lebenseinstellung, dass sie bald trocknet. Estragon mit seinen kaputten Netzstrumpfhosen und kurzen Höschen ein queerer, Typ, Becketts Stück darf ja nur mit Männern besetzt werden, drücken die Schuhe. Er hat resigniert, will nur noch sitzen und ruhen. Beide suchen nach dem Sinn des Lebens. Sie warten auf Gott, der weder erscheint noch Antworten gibt. Wartend verharren sie in Lethargie, die durch das zweimalige Erscheinen von Lucky und Pozzo spektakulär durchbrochen wird. Hier sticht der Ober den Unter, die Macht versklavt den Mitmenschen. Gegen Lucky, Typ Herrenmensch, hat Pozzo keine Chance. Umgekehrt, der Erniedrigte in Machtposition, eskaliert die Brutalität der Machtspiele in satirisches Megaformat durch Lucky mit geschulterten Koffern und Bündeln an langen Seilen geknebelt ein Querverweis auf Kolonialismus und Migration.

Und natürlich fehlt auch in dieser Inszenierung nicht die derzeit im Berliner Ensemble so beliebte Jagd mitten durch das Parkett hinauf bis zu den obersten Zuschauerrängen. Das ist viel Spektakel, lässt Theater hautnah erleben und gibt Becketts handlungsarmem Stück eine ungewohnte Dynamik, die allerdings sehr aufgesetzt wirkt. Perceval leuchtet die komischen Seiten des Textes aus, integriert gekonnt die Souffleuse, um die das minutiöse Bühnengeschehen durch die Textvorlage zu ironisieren oder vielleicht auch um Wladimir und Estragon Demenznähe besonders hervorzuheben.

Percevals Konzeption ist gut nachvollziehbar, durchbricht ganz bewusst Erwartungshaltungen, aber das Spektakel prallt ab, berührt nicht. 

Künstlerisches Team: Luk Perceval (Regie), Katrin Brack (Bühne), Ilse Vandenbussche (Kostüme), Rainer Süßmilch, Philipp Haagen (Musikalische Leitung), Mark van Denesse (Licht), Amely Joana Haag (Dramaturgie)


Mit: Matthias Brandt (Estragon), Paul Herwig (Wladimir), Oliver Kraushaar (Pozzo), Jannik Mühlenweg (Lucky), Roderich Gramse (Ein Junge), Jürgen Linneweber (Ein Junge), Philipp Haagen (Live-Musik).