"Kultur macht glücklich"


Berlin „Parzival“ – in einer Nachschreibung Joanna Praml und Dorle Trachternach uraufgeführt im Deutschen Theater

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Berlin „Parzival“ – in einer Nachschreibung Joanna Praml und Dorle Trachternach uraufgeführt im Deutschen Theater

©Deutsches Theater Berlin, Foto: Jasmin Schuller

„Parzival“, Wolfram von Eschenbachs fiktiver Held, der sich vom weltfremden Jüngling zum Retter der Welt entwickelt, wurde zum Mythos. Was sagt er…

uns heute? Unter dieser interessanten Fragestellung erarbeiteten Joanna Praml und Dorle Trachternach mit elf jungendlichen Darsteller:innen am DT Jung eine mitreißende, knapp zweistündige Bühnenversion der 25.000 Verse in zwei Bänden zu je 16 Kapiteln. 

„Ich bin 17, ich weiß nicht, wie man die Welt rettet.“ In bühnenbreiter Phalanx skandieren die Jugendlichen die Probleme von heute, untermalt von düsteren Klavierakkorden. Angesichts dieser Flut von unlösbaren Konfliktszenarien ziehen sie sich frustriert à la „Parzival“ in den Wald zurück und lassen die Welt draußen. Sie wollen ihre Vergangenheit, selbst ihre Namen vergessen. Sie wollen nicht kämpfen, lieber die Waldidylle genießen und animieren das Publikum, durch Vogelstimmen und Armbewegungen die akustische und optische Atmosphäre zu unterstreichen. Über Live-Videos, manchmal noch sehr verwackelt. stehen sie abwechselnd mit ihren unterschiedlichen Meinungen und Empfindungen im Mittelpunkt und geraten schneller als gedacht an die Grenzen dieser künstlichen Abschottung von der Welt. 

Wie sollte sich „Parzival“ in der Welt zurechtfinden, nachdem ihn seine Mutter Herzeloyde abgeschirmt im Wald erzog? Als er als dummer Narr mit Rittern, die er für Gott hielt, in die Welt hinausritt, hatte er viele Erfahrungen zu erleiden, bis er kapierte, was die Welt bewegt. Die jungen Darsteller:innen wollen Parzival in die Welt hinaus folgen. Eine übernimmt die Rolle Eschenbachs, indem sie aus dem Roman die zentralen Lebensstationen vorliest, die auf der Bühne mit größter Spielfreude, pointierter Rhetorik, spielerisch burlesken Bewegungseffekten in rasantem Spieltempo umgesetzt werden. Kostümfragmente setzen ironische Akzente, Live-Musik am Klavier und mit Geige schaffen kurze besinnliche Momente. Eine bühnengroße Folie genügt, um durch raffinierte Licht- und Stimmungseffekte zu überraschen. Die Gralsschale, als weit gefächertes Kreisrund über der Bühne gefüllt mit Luftballons, die später zerboxt werden, symbolisiert eindrucksvoll den Kampf gegen Illusionen, der gleichzeitig durch die ständigen Wechsel von Fiktion und Realität und den damit verbundenen Rollenüberschneidungen deutlich wird. 

Die Artusrunde, in dieser Version als echte Demokratie anvisiert, misslingt, statt friedvolle Einigung herrschen Kampf und Diebstahl. Jeder trägt eine rote Trophäe als Zugehörigkeit der Artusrunde, nachdem der „rote Ither“ getötet wurde. Das Leiden des Gralskönigs Anfortas bessert sich deshalb nicht, im Gegenteil, es überträgt sich hier auf alle. Dagegen helfen selbst die stärksten Ibuprofen-Tabletten nicht. Was ist richtig, was falsch? Die gesellschaftlichen Regeln, über den Wertekodex der Ritter definiert, den ihm Eschenbachs Gurnemanz vermittelt, genügen nicht. Es fehlt die Mitleidsfrage, die in dieser Inszenierung durch den Willkommenskuss in Verbindung mit Immigration und positive Selbstprogrammierung erweitert wird. Jeder ist ein Held, der dieser Realität standhält. Die Welt wird durch jugendliches Engagement gerettet, gleichzeitig aber auch selbstironisch als „voll kitschig“ kommentiert. Wie stark die Inszenierung generationenübergreifend funkte, bewies bei der Premiere der Jubel des Publikums. Man darf auf die nächsten Inszenierungen gespannt sein.

Künstlerisches Team: Joanna Praml (Text, Regie), Dorle Trachternach (Text, Dramaturgie ), Claudia Kalinski (Bühne), Inga Timm (Kostüme), Hajo Wiesemann (Musik), Marco Scherle ( Licht), Maura Meyer (Theaterpädagogik und Vermittlung), Bernd Isele (Dramaturgie)