"Kultur macht glücklich"


Berlin – „Dämonen“ – eine Performance als Live-Stream im Maxim Gorki Theater von Sebastian Nübling und Boris Nikitin 

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Berlin – „Dämonen“ – eine Performance als Live-Stream im Maxim Gorki Theater von Sebastian Nübling und Boris Nikitin 

©Maxim Gorki Theater, Foto: Ute Langkafel

Der Countdown beginnt vor der Leinwand. Eben noch auf der Bühne, ist das Geschehen als surrealer Film über Selbstfindung junger Menschen zu erleben. Treppauf, treppab beginnt in den verwinkelten Räumlichkeiten des Maxim Gorki Hinterhauses eine rasant kafkaesk anmutende Verfolgungsjagd der Kamera im Fokus fünf SchauspielerInnen in schwarzen Anzügen. Das Szenario weitet sich auf Berlin und damit bekommt „Dämonen“ über die Coming-Up-Story einen historischen Hintergrund, den nur die ehemals geteilte Stadt liefern kann. Schon 2022 sorgte „Dämonen“ in Basel für Furore. Sebastian Nübling und Boris Nikitin (Regie), Jelïn Nichele und Robin Nidecker (Kamera) knüpfen an diese Inszenierung an und entwickeln „Dämonen“ ganz berlinspezifisch weiter.

Verloren, verletzlich, zuweilen durch Masken wie in einer Rolle erstarrt wirken die jungen Menschen auf breiten Straßen, großen Plätzen, vor Beton- und Repräsentationsbauten verschiedenster geschichtlicher Epochen. Die Architekturen Ausdruck kapitalistischer und sozialistischer Ideologien provozieren Erinnerungen, die Dämonen, warum man so ist, wie man ist und warum man sich ausgegrenzt fühlt. Baustellen versperren den Weg, verhindern Nähe, ohne die Selbstfindung und Gemeinschaft nicht möglich sind.

In den Texten der AkteurInnen spiegelt sich ein breites Problemspektrum. Sie erzählen von Krankheit, Suizid, Migration, von der Angst, keinen Platz in der Gesellschaft zu finden. „Hat die Wirklichkeit, die ich in mir habe, etwas mit der Wirklichkeit zu tun, in der ich lebe?“ Die AkteurInnen laufen die Straßen entlang, um den Puls der Stadt zu spüren, um nicht zu erstarren, um an ihre Erinnerungen, deren Details sie vergessen haben, wieder anzubinden. Die Ödnis des Alexanderplatzes wird zum Initialerlebnis. Im Gorki-Kleinbus tauschen sie ihre schwarzen uniformen Anzüge gegen bunte Harlekin-Kostüme ein. Weiter geht die Odyssee durch Berlin.

Theaterkritik "Dämonen" von Sebastian Nübling und Boris Nikitin präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Maxim Gorki Theater, Foto: Ute Langkafel

Ist es ein Zeichen des Neuanfangs trotz eingespielten schrägen Trauermarsches im Hintergrund oder der endgültige Abgesang der eigenen Existenz angesichts der architektonischen Macht als Metapher einer mächtigen Elite im Hintergrund, die die Realität bestimmt?

Wenn ein Blasorchester mit dem Endlos-Trauermarsch ins Parkett einmarschiert und das Publikum aus der Filmwelt wieder in die Realität holt, zählen die SchauspielerInnen den Countdown. Licht aus. Noch einmal von 10 bis 1 gezählt, Licht an. Ob Apokalypse des einzelnen oder Hommage an das Berliner Leben mit seinen vielseitigen bunten Facetten bleibt offen. 

„Dämonen“ zündet, auch wenn einige Szenen etwas langatmig sind. Man könnte sich, wie vor der Vorführung empfohlen, etwas zum Essen und Trinken holen, ohne den erzählerischen Faden zu verlieren, aber das Publikum bleibt gebannt sitzen, denn die Kameraführung fängt ohne Schnitte, im Wechsel von Schwarz-Weiß auf Farbig und Blaufilter mit vielen abrupten Schwenks und schwindlig machenden Perspektiven die schauspielerische Performance und den sich daraus ergebenden Situationswitz gekonnt ein, der der ernsten Thematik zuweilen witzige Leichtigkeit verleiht.

Bei jeder Vorstellung entsteht ein neuer ungeschittener Film, der allen Beteiligten schnelles und subtiles Reagieren abfordert. Chapeau! Das macht durchaus Lust zum Vergleich eine zweite Vorstellung der „Dämonen“ zu sehen.

Künstlerische Leitung: Boris Nikitin und Sebastian Nübling (Inszenierung, Texte), Dominic Huber (Bühne), Ursula Leuenberger (Kostüme), Matthias Meppelink (Musik, Komposition), Jelïn Nichele und Robin Nidecker, (Live-Kamera und Cinematografie), Endre Malcolm Holéczy (Dramaturgie)

Mit: Tim Freudensprung, Kinan Hmeidan, Flavia Lefèvre, Meret Mundwiler, Linda Vaher und MusikerInnen des Blasorchesters „Haste Töne Berlin“