©Gärtnerplatztheater, Foto: Marie-Laure Briane
Hinter diffusem, wildbewegtem Wolkenhimmel schimmert eine Dorfidylle durch, zeichnen sich Ibsens Figuren ab, die nach der atmosphärischen Musik von Grieg und Sigfúsdóttir in spannenden Tanzszenen die dramatischen Stationen von Gynts Entwicklung vom Kind zum Jüngling und Mann adäquat zur Theaterfassung lebendig werden lassen. Choreograf Karl Alfred Schreiner setzt auf kosmisch magische Szenen, möglich durch sein künstlerisches Team, das die Choreografie in atmosphärische Videoprojektionen und kontrastreiche Lichtstimmungen einbettet, die man partiell aber nur versteht, wenn man Ibsens Stück gut kennt, denn trotz der Textpassagen des Todes kann die Sprache des Tanzes und der gewaltigen Bühnenszenarien nicht die Sprache des Textes ersetzen.
Es funktioniert, solange das Stück über fünf Gynts als Kind, Junge, Mann, Heimkehrer und im Alter die Wirklichkeiten von Gynts Sozialisation nacherzählt und sinnbildlich wie die Schalen einer Zwiebel ohne Kern seine Persönlichkeit vor Augen führt oder durch atmosphärische Verdichtung die emotionale Dichte von Ibsens Text aufleuchtet. In der naiven Dorfidylle wird Gynt schon als Kind und Junge durch sein kämpferisch aggressives Auftreten bei den Tänzen zum Außenseiter. Er verführt die Braut eines anderen und entflammt für Solveig. Es gelingen kraftvolle, lebensfroh folkloristische Tanzszenen…
©Gärtnerplatztheater: Marie-Laure Briane
…und wunderbar poetische Pas de deux, wenn Gynt (Douglas Evangelista) und Solveig (Marta Jaén Garcia) im kraftvollen Aus- und Zueinander ihre magnetische Wirkung und in raffinierten Verschlingungen ihre Seelenverwandtschaft ausdrücken. Der Tod der Mutter wird zu einer magischen Transformation von der Düsternis der Welt in lichtdurchflutetes Elysium, ästhetisiert durch sich ständig verändernde Konstellationen nackter Körperlichkeit. In der Trollszene mutieren kleine Gräser zu gigantischen Makrostrukturen, die im Rhythmus der Musik wogen, sich gespenstisch verdunkeln und die Trolle und aauch Gynt liliputanisieren, eine herrliche Metapher für ein psychopathisches Über-Ich, das nur das eigene Ego kennt. Man muss schon Ibsens Text kennen, um den Bezug zur Problematik Gynts Lebensmotto „sich selbst genug zu sein“ herstellen zu können. Gynts Reisen in die Welt umringt von schönen Männern und Frauen verharren in ästhetischen Glitzerwelten, ohne dass Ibsens kritisch parodistischer Blick auf den Kapitalismus über die Irrenhausszene deutlich wird und als Gynt in Seenot gerät stehen projizierte Wasserfluten und schauspielerischer Zweikampf im Mittelpunkt des Geschehens. Was nachhaltig bleibt sind folglich gigantische Bildwelten, smarte Tanzszenen, ein sympathischer Peer Gynt in allen Lebensphasen und eine wunderbare Musik sehr kontrastreich von Michael Brandstätter dirigiert.
Künstlerisches Team: Michael Brandstätter (Musikalische Leitung), Karl Alfred Schreiner (Choreografie), Heiko Pfützner (Bühne), Thomas Kaiser (Kostüme), Peter Hörtner (Licht), Christian Gasteiger, Raphael Kurig (Video), Fedora Wesseler (Dramaturgie)
In den Hauptrollen: Alexander Hille (Peer Gynt), Marta Jaén Garcia (Solveig) Ethan Ribeiro (Peer als Kind), Mikaël Champs (Peer als Junge), Douglas Evangelista (Peer als Mann), David Valencia (Peer als Heimkehrer), Erwin Windegger (Knopfgießer)
(siehe „Peer Gynt“ am Residenztheater vom 14.11.23)