©Kfir Bolotin
Ein Tänzer, nackt, mit ausgebreiteten Armen, wird von zwei anderen in Schwarz hochgehoben wie Jesus am Kreuz. Der Schlusschor „Wir setzen uns mit Tränen nieder“ aus Bachs „Matthäuspassion“ erklingt und sofort wird klar,…
dass „Matthäus-Passion 2727“ vom Schluss her vertanzt wird. Auf 75 Minuten reduziert verdichtet Choreograf Tamir Ginz Bachs berühmte „Matthäuspassion“ und weitet sie zugleich auf die Gegenwart, Liebe nicht nur als gelebte Agape und Nächstenliebe, sondern auch als sexuelles Begehren über bisexuelles Liebe hinaus bis zur gleichgeschlechtlichen, womit die Beziehung von Jesus und Judas ganz neu ausgeleuchtet und das Stationendrama mit heutigen Erfahrungen über Freundschaft und Liebe, Leid und Neid, Trauer und Verrat neu vernetzt wird.
Auf leerer Bühne vor schwarzem Hintergrund mit einem lila Keil, der sich immer mehr vergrößert und die Dunkelheit symbolisch verdrängt, vertanzt Ginz’ „Kamea Dance Company“ den leidvollen Weg Jesu in bildgewaltigen, emotional ausgeleuchteten Szenen. Ganz in Schwarz gekleidet glühen Gesicht und Hände der TänzerInnen im Abendlicht als Ausdruck des Miteinander und färben sich rötlich ein angesichts leidvoller Erfahrungen. Im Bewegungsstil der Kompanie spiegelt sich die zunehmende Vernetzung unserer Gesellschaft. Nur gemeinschaftlich sind neue Synergien möglich, zappelnde Widerstände zu überwinden. Durch raffinierte Schrittkombinationen, Handfassungen, Drehungen, dynamisiert durch die leicht ausgestellten Oberteile, Hebungen zu zweit, zu dritt und mehreren prallen Emotionen in immer neuen Konstellationen, abgeknickten und verschobenen Körperstrukturen aufeinander, wechseln Zu- und Abwendung, Liebe und Eifersucht abrupt. Kreisstrukturen symbolisieren soziale Wärme. Manche brechen aus und kehren doch wieder zurück.
Typische Bilder aus der religiösen Vermittlung der Leidenspassion tauchen auf. Eindrucksvoll die Steinigungs- und Selbstbezichtigungsszenen. Doch sobald Jesus auftaucht, durch seinen nackten Oberkörper gut erkennbar, beruhigen sich Kontroversen und zitternde, vibrierende Körper.
©Kfir Bolotin
Jesus besänftigt, gleicht aus, baut Brücken. Ein wunderbares Pas de deux, er oben nackt, sie unten transportiert die Botschaft der Liebe, die sexuelles Begehrten über das menschliche Miteinander in spirituelle Verbundenheit verwandelt und die Botschaft Jesu von einer neuen Welt verdeutlicht, „in der jeder Jesus ist und Jesus einer von uns ist.“
Verbesserungswürdig wäre allerdings die musikalische Aussteuerung der Musik, die vor allem anfangs viel zu laut eingespielt wurde.