©Sommerfestspiele Erl, Foto: Monika Rittersleben
Ein Moving Head Spot quert die Rampe. Musik erklingt und schon beginnt die Mär von „Herzogs Blaubarts Burg“ als…
imaginatives Spiel in der Dunkelheit, das unter der Regie von Claus Guth raffiniert zwischen Realität und Unterbewusstsein oszilliert. Judith im Brautkleid Unschuld pur, verweigert die Hochzeit, um Herzog Blaubart, mit Nelke und Einstecktuch ein Gentleman, zu folgen. Neugierig fordert sie alle sieben Türen öffnen zu dürfen, bühnentechnisch sehr spanend gelöst. Bürgerliche Zimmer werden in der Dunkelheit wie Erinnerungsbilder erleuchtet, fusionieren schließlich über die schwarze-weiß gemusterten Bodenbelag, auf denen Judith und Blaubart wie Schachfiguren agieren und Blaubarts tote Frauen in erstarrten Posen oder in Zeitlupe sich bewegend dessen Vergangenheit lebendig werden lassen. Dabei entwickelt sich ein psychologisches Kräftemessen à la Freud, das fern grausiger Folterkammerszenarien tief hinableuchtet auf andere Art und Weise durch männliche und weibliche Idealvorstellungen folternd. In geheimnisvoller Atmosphäre, licht- und symbolträchtiger Ästhetik werden sie wie Halluzinationen sichtbar und im Spannungsfeld furioser und subtiler Klanglichkeit hörbar. Mezzosopranistin Christel Loetzsch und Bassbariton Florian Boesch bringen diese mysteriöse Liebesbeziehung ausgesprochen spannend auf die Bühne. Loetzsch verzaubert als anmutig naive Braut, erotische Verführerin mit sirenenhaft flirrenden Höhen, wandelt sich in chromatisch absteigenden Tonlinien in eine eifersüchtige, egozentrische Furie und zerstört dadurch Blaubarts Frauenideal, womit sich Judith einreiht in dessen Spalier toter Frauen in zart pink farbenen gebauschten Mädchenkleidern. Blaubarts Gesangspart ist reduziert, doch Florian Boesch bringt dessen leitmotivischen Wunsch, nicht in seine Innenwelten einzudringen, eindringlich zum Ausdruck. Seine zurückhaltende Noblesse verdeutlicht die Problematik von Ideal und Realität, die das Orchester der Tiroler Festspiele unter der Leitung Martin Rajna, Chefdirigent der Ungarischen Staatsoper, fulminant zum Klingen bringt. Rajna lotet die dynamischen Extreme aus, wobei das Orchester die Sänger nie überschallt, die leitmotivischen Wiederholungen präzis parallel zum Bühnengeschehen erfolgen, klare Pausen markante Akzente setzen In den dissonanten Passagen leuchtet weniger die Allgegenwärtigkeit des Blutes als das immer stärker werdende psychotische Chaos auf. Dazwischen ermöglichen lyrischen Passagen mit glitzernden Harfen und Celesta Traumvisionen.
Raffiniert dockt Guth nach dem 3. Satz „Elegia“ aus Béla Bartóks „Konzert für Orchester“ mit denselben Bühnenmitteln und gleichem Regiestil an Blaubarts Seelenreise Francis Poulencs Monooper „La voix humaine“ (1959) nach Jean Cocteaus gleichnamigem Monodrama an. Grandios singt und spielt Weltstar Barbara Hannigan eine Frau, die gerade von ihrer großen Liebe verlassen wurde. Schon im April begeisterte sie im Konzerthaus Dortmund in dieser Rolle, wobei sie gleichzeitig das ganze Orchester als Ausdruck dieser existentiell verletzten Frau dirigierte.
In Erl eilt sie im Trenchcoat mit Koffer im Lichtspot die Rampe entlang Richtung Hotelrezeption und versucht auf der Couch eines kargen Hotelzimmer telefonisch die Beziehung zu retten. Sie gibt sich gelassen, einsichtig, bekennt sich schuldig, agiert mutig und ist doch ein Wrack, hat gerade einen Selbstmordversuch hinter sich und wird sich ihres Alleinseins immer bewusster. Hannigan fokussiert nicht auf lyrische Verbrämung. Psychotisch chargiert sie zwischen Beschwichtigungen, Liebesbeteuerungen und steigert sich im Wechselbad der Gefühlte immer mehr in Wut und Verzweiflung, flankiert vom Orchester mit Paukenschlägen und traumatisch changierenden Klangszenarien in Wiederholungsschleifen. Erinnerungen holen sie ein. Doch sie will nicht jammern, sondern kämpfen. Sie hübscht sich sexy im pinkfarbenen Kleid mit großer Schleife am Rücken wie eine Praline auf und begibt sich halluzinativ auf eine Seelenreise in Herzogs Blaubarts Burg, wo sie dessen Verhalten aus weiblicher Perspektive spiegelt. Grandios ist der Schluss, der an dieser Stelle nicht verraten wird.
Wer diese außerordentlichen Opernabend erleben will, muss sich beeilen. Weitere Vorstellungen gibt es nur am 13. und 18. Juli während der Sommerfestspiele in Erl.