Zusammen mit gigantischen Projektionen, Wasserspiegelungen, Farbeffekten wird Ernst Kreneks Musiktheater optisch bestens aufgepeppt und bekommt die Aura eines gigantischen Festspiels. Bizarr überdimensionierter Kopfputz und stilisierte Hemden verorten die Figuren ins Reich eines Irrenhauses. Die Krone, zu einem Punk-Hahnenkamm reduziert, drückt Karl V. als Ausdruck königlicher Bürde in eine osteopathische Beugehaltung. Nein, trotz allen Bemühens er hat sein Lebenswerk, die Einigung des Reichs unter dem Katholizismus, nicht erreicht.
©Wilfried Hösl
Viele Zuschauer sind begeistert von dieser neobarocken Opulenz, viele Musikliebhaber allein schon von der Tatsache, die erste atonale Oper Kreneks in der Qualität des Bayerischen Staatsorchesters zu hören. Unter der musikalischen Leitung Erik Nielsens wird das extrem dichte Werk in all seinen klanglichen Facetten sehr transparent und dynamisch mit deutlicher Präsenz der Schlagwerke interpretiert. Umso wohltuender wirkt das Intermezzo vor dem zweiten Teil, wenn sich im exzessiven Rausch der tonalen Reihen Zartheit ausbreiten darf.
Als Auftragswerk der Wiener Oper sollte und wollte Ernst Krenek mit „Karl V.“ durch zeitliche Distanz indirekt die politische Situation in den 30er Jahren kritisch reflektieren, weshalb die Uraufführung 1938 nicht im braunen Wien, sondern nur noch in Prag erfolgen konnte. Für die neuen Visionen wählte Ernst Krenek auch eine neue, die atonale Musik.
Doch Kreneks erste dodekaphone Komposition ist sperrig. Sie ist keine Oper im klassischen Sinn, sondern ein Theaterstück mit Musik, entsprechend textlastig, intellektuell als Vision eines Universalreichs mit christlicher Ständegesellschaft sehr abgehoben.
Das Libretto, von Ernst Krenek selbst geschrieben, hebt in expressionistischer Pathetik die politischen Wunden hervor. Aus den unterschiedlichsten Perspektiven seiner Widersacher beleuchtet Karl V. sein misslungenes Lebenswerk in der Todesstunde vor einem jungen Mönch. Wie in einer Beichte stellt sich Karl V. dem Diskurs mit Luther, dem Jesuiten Francisco Borgia, König Franz I, Sultan Suliman und den Geistern. So ist man mehr mit dem Lesen als dem Hören beschäftigt, da sich durch die tonale Dichte das Libretto, obwohl in Deutsch, gesungen nur in einzelnen Passagen erschließt und in den vehementen Tutti mit mächtigem Chor vollständig verloren geht.
Stimmlich exzellent ausgewählt ist die Besetzung. Mit durchdringenden Bariton und durch schauspielerische Expression macht Bo Skovhus Karl V. in seinem existentiellen Leid sichtbar, genauso wie Okka von der Damerau in ihrem kurzen, aber doch beeindruckenden Auftritt als wahnsinnige Mutter und Gun-Brit Barkmin als nicht minder vom Leben gebeutelte Schwester Karls V. Alle anderen Würdenträger werden durch Esteban Muños spartanische Personenregie in statischen Positionen als unflexiblen Machtmenschen vorgeführt. Luther wird mit Michael Kraus mächtigen Stimmvolumen größten Gegner Karls V. , Scott MacAllister (Franzesco Borgia), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Peter Lobert (Sultan Soliman) degradieren zu Karikaturen der Macht.
Das ist durch und durch effektvoll konstruiert und inszeniert, ohne die Seele zu berühren.
Michaela Schabel