©Opera Incoognita
2002 komponierte Philip Glass diese „pocket opera“ von 75 Minuten als Auftragsarbeit für das Contempary Theatre 2002 in Seattle als Antwort auf die politische Weltlage nach Kafkas Kurzgeschichte „In der Strafkolonie“. Das Publikum war verstört. Erst zehn Jahre später war die Oper in Deutschland zu hören, wurde aber nur selten gespielt und erlebt jetzt im Kafka-Jubiläumsjahr ein Revival.
Die Version der Opera Incognita bringt Licht in die Irritationen der kryptischen Handlung, in der eine komplexe Maschine einem Verurteilten, der um seine Schuld nicht weiß, das vorgeschobene Schuldprotokoll buchstäblich auf den Körper stanzt, wobei er einen euphorischen Moment der Erkenntnis erleben soll. Enthusiastisch erklärt und demonstriert ein Offizier einem Besucher die Maschine, damit dieser das Tötungsverfahren bewertet. Als die Maschine kaputt geht, startet der Offizier einen Selbstversuch. Bei Kafka versagt die Maschine ein zweites Mal, nicht bei Wiedermann. Eine gigantische, mehrere Meter hohe blutrote Schreibfeder umkreist den Offizier, doch das erlösende Lächeln will sich nicht einstellen. Voller Grauen flieht der Besucher. Sein finales „Das ist es nicht, was er will. Das ist Mord!“ wird zur religiösen Erkenntnis und erhellt damit schlagartig diese kafkaeske Geschichte, Bartmanns Musikmontage und Wiedermanns expressiv bizarre Inszenierung. Bartmann begnügt sich nicht mit Philip Glass’ sonorer pulsierender Minimalmusik, die von seinem nur 5-köpfigen Streicherensemble durch die Raumakustik unterstützt sehr kraftvoll interpretiert wird und brachiale Szenen durch subtile Trommeleffekte auf Cello und Kontrabass, eisiges Klirren auf den Geigen hörbar macht. Durch vier Chorstücke von Bach in ehrerbietender Höhe verwandelt Bartmann den Lichthof in eine Kathedrale, wodurch sich eine religiös Aura entfaltet, die Wiedermann durch symbolische Handlungsmomente intensiviert. Wie Pontius Pilatus wäscht der Offizier in einer weißen Wasserschüssel seine Hände in Unschuld. Der Angeklagte, dann der Offizier auf der Treppe an Armen und Beinen wie ein Blatt für das Einstanzen des Schulbekenntnisses aufgespannt, lassen an Jesus am Kreuz denken.
©Opera Incognita
Eingetaucht in rotes Licht ist die Hölle assoziierbar und die Schergen der Macht in schwarzen Anzügen mit Blutspuren wirken wie kafkaeske Bürokratievampire. Der Angeklagte, Stefan Boschner spielt ihn sehr authentisch als Inkarnation der geschundenen Kreatur, gibt dieser auf zwei Sänger reduzierten Oper dramatische Spannung. Dreh-und Angelpunkt dieses skurrilen Spektakels wird der Offizier. Manuel Kundinger leuchtet ihn in Hitleroptik in irritierender Ambivalenz zwischen Charlie Chaplins „Der große Diktator“ und gleichzeitig als Opfer ideologischer Verblendung aus. Dazu passt Kundigers Bariton im satten Wohlfühlbereich.
Das Publikum erlebt das Geschehen aus der Perspektive des Besuchers. Ganz in Weiß agiert Tenor Dan Chamandy wie ein staunender Journalist, der alles aus der Ferne betrachtet, sich Notizen macht, anfangs zum Mikrophon greift, als berichte er und um deutlich zum machen, dass eben keine Technik benutzt wird, dass klangliches Volumen und Halleffekte der Architektur geschuldet sind. Er will nur beobachten, nicht beurteilen. Das übernimmt die Inszenierung. Ein überaus gelungener Beitrag zum Kafka-Jubiläum.
Weitere Vorstellungen am vom 25. – 27. April