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Landshut – Wagners „Götterdämmerung“ am Landestheater Niederbayern 

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Landshut – Wagners „Götterdämmerung“ am Landestheater Niederbayern 

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

Wieder öffnet sich die bühnengroße Bücherwand und gibt den Blick frei auf das Geschehen des dritten Tages des Bühnenfestspiels, die Quintessenz von Wagners „Ring“-Projekt, das er 1848 mit „Siegfrieds Tod“ begann, drei Jahre später mit einer Vorgeschichte versah, woraus sich ein geschlossenes Werk entwickelte, das er schließlich als „Götterdämmerung“ in die „Ring“-Tetralogie integrierte. 

Die Welt der Götter hat längst abgedankt. Sie sind höchstens noch im „Götter Funpark“ oder als museale Dekorstatuen präsent. Brünnhilde, von Wotan verdammt, hat ihren göttlichen Status verloren. Siegfried wurde schon als Mensch geboren. Beide agieren als Menschen. Auch die Welt der Helden schwindet. Das Schwert Nothung kommt nur noch zur Abwehr im Bett vor.

Die Weltesche, Symbol des Lebens, ist verdorrt. Das Schicksalsseil, das die drei Nornen spinnen, zerreißt, womit das Wissen um die Welt verlorengeht. Siegfried verlässt Brünnhilde wegen neuer Abenteuer, kommt zum Hof der Gibichungen, wo er ein Opfer von Alberichs Sohn Hagen wird, der den Ring des Vaters zurückerlangen will. Durch einen Vergessenstrunk gelingt es Hagen Siegfried zu überzeugen, mittels der Tarnkappe für Gunther Brünnhilde zu werben. Als Belohnung soll Siegfried Gutrune, Gunthers Schwester, zur Frau bekommen. Das ist der Deal, der eine dramatische Wendung nimmt, als Brünnhilde Siegfried erkennt, er aber sie nicht. In ihrer verletzten Liebe unterstützt Brünnhilde Hagens Rachemord an Siegfried. Zu spät durchschaut sie die Intrige und geht in den freiwilligen Feuertod, der ein apokalyptisches Chaos auslöst. 

Die motivliche und musikalische Komplexität der „Götterdämmerung“ ist eine der größten Herausforderungen in der Opernliteratur. Unter der Regie von Stefan Tilch und der musikalischen Leitung von Basil H. E. Coleman gelingt die Inszenierung des Landestheaters Niederbayern mit Bravour. Durch reduzierte Expression kommen die Handlungsmotive klar zur Wirkung, gewinnt die Musik Raum, sich in subtilsten Pianissimi und fulminanten Forti zu entfalten und rückt die kraftvolle Energetik der Stimmen in den Mittelpunkt. 

Die Bühne fokussiert auf das Wesentliche entlang Wagners Leitmotiven. Die Erde als schräges Dreieck zielt direkt in den Kosmos, der sich durch raffinierte Projektionen in vulkanische Landschaften, Feuer- und Wasserszenarien wandelt, die „Rheingold“ und „Die Walküre“ assoziieren lassen und „Siegfried“s Werdegang als Filmtrailer aufleuchten lässt. Hengst Grane, energetisches Sexualsymbol, formiert sich wie ein Auto-Werbespot aus einem Wolkengebilde und im Schlussinferno brennt alles lichterloh inklusive des bibliothekarisch angesammelten Menschheitswissens und nebulöser Reinkarnationsprojektionen. Dahinter baut sich eine goldene Wand auf, Symbol der Gier. Wagners Wunsch „Nur eines will ich noch, das Ende“ wird damit zum Neubeginn einer Wiederholungsschleife des „Ring“-Mythos.

Wagners langatmige Dialogpassagen peppt Stefan Tilch mit parodistischen Aktualisierungen auf. Brillen signalisieren den Grad er Verblendung. Das Geschwistertrio, Hagen, Gunther und Gutrune degeneriert zu eitel gestylten Partytypen mit modernem Drive verkabelt im Ohr und tänzelnd rhythmisiert in den Beinen. Die beiden Hochzeitspaare in der Menge steigern sich zur Handy-Selfie-Groteske. Die faschingsmäßige Polonaise des Volkes balanciert zwar schon am Abgrund zur Verflachung, gewinnt aber durch die Rheintöchter wieder Esprit und durch die großartige Schlussszene existentielle Symbolik. Wie im „Siegfried“ schwebt statt Wotans Kontrollraben eine Drohne vorbei und der Ring leuchtet immer öfter blutig rot auf. Wer ihn trägt, wird sterben.

Bei der Personenregie kappt Stefan Tilch Sehgewohnheiten und lässt im Gegenzug zuweilen nostalgisches Pathos zu. Siegfried ist immer noch der naive Held, keine messianische Lichtgestalt, Hagen kein Finsterling, sondern hipper Intrigant. Brünnhildes Eroberung mittels Tarnkappe löst Stefan Tilch elegant. Baritonal tritt Gunther bei Brünnhilde ein. Die Tat vollbracht kommt Siegfried siegesgewiss auf die Bühne. 

Unterstützt durch Kostümbildnerin Ursula Beutler und Choreografin Sunny Prasch finden die SängerInnen optimale Ausdrucksformen, wobei die weit ausgebreiteten Arme zwischen Empathie und Pathos mit Ausstellschritt und Gewichtsverlagerung zum motorischen Leitmotiv avancieren, womit vor allem Michael Heim Siegfried in seiner arglosen Naivität geschickt zur Wirkung bringt. Wie eine kleine Zugabe springt er übermütig humorvoll im Pferdchenschritt aus der Szene. Völlig unangestrengt, außerordentlich kraftvoll, präzise und textverständlich interpretiert er diesen Siegfried, der zum Spielball der Intriganten wird. 

Mit sattem Bariton verwandelt Heeyun Choi Wagners Kraftkerl Hagen in einen raffinierten Manipulator unserer Tage, ein Genuss ihm zuzuhören. Dazu passt Oliver Weidingers noch dominanterer Bassbariton als Alberich, Hagens Vater, der den Sohn immer noch nach seiner Pfeife tanzen lässt. 

Peter Tilch zeichnet Gunther optisch und stimmlich als vergnügten, schlauen Fuchs, der wiederum von Hagen fremdgesteuert wird, genauso wie Gutrune, der Peggy Steiner konträr zu ihrem Girly-Rollenimage eine mitreißende Stimme gibt. Durch Judith Gennrichs dramatische, aber auch empathische Sopranstimme wird Waltrautes Warnung an Brünnhilde zu einer höchst emotionalen Begegnung und schon in der ersten Szene verweisen die kraftvollen, klangschönen Stimmen von Reinhild Buchmayer, Sabine Noack und Emily Fultz als Nornen auf das hohe sängerische Niveau dieser Aufführung. Später bezirzen sie als Rheintöchter auf der Bühne und als auf- und abtauchende Nymphen in der Videoprojektion. Star des Abends ist zweifelsohne Yamina Maamar, die Brünnhildes Gefühlsleben zwischen leidenschaftlicher Liebe und Hass hochdramatisch in großen Intervallsprüngen, langen Melodiebögen mitreißend interpretiert. 

Wagners "Götterdämmerung" am Landestheater Niederbayern präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de.

©Landestheater Niederbayern, Peter Litvai

Die Niederbayerische Philharmonie unterstützt von Gastmusikern überrascht einmal mehr durch ungewöhnlich schöne Klangharmonie, präzise, raffiniert gesteigerte Akzentuierungen und pulsierende Tempi. Wagners Leitmotive leuchten wie Irrlichter im Klanggewebe auf. Streicher, Oboe und Fagott, Harfe und Klangspiele entführen in lyrische Stimmungen, die emotional berühren und Naturschauspiele im impressionistischen Stil erleben lassen. Aus langsamen Crescendi baut sich Wagners fulminantes apokalyptisches Inferno auf mit wuchtigen Paukenschlägen und Trompeten aus unterschiedlichen Raumpositionen. Doch selbst in den Tutti mit Chor übertönt das Monumentalwerk die SängerInnen nicht. Sie können gegenhalten. Mehr Genuss bieten die sinfonischen Interludi. Opernfreunde sollten diese „Götterdämmerung“ nicht verpassen. 

Künstlerische Leitung: Basil H. E. Coleman (Musikalische Leitung), Stefan Tilch (Inszenierung), Karlheinz Beer (Bühne), Ursula Beutler (Kostüme) Sunny Prasch (Choreografie), Florian Rödl (Video), Swantje Schmidt-Bundschuh (Dramaturgie)

Es singen und spielen: Michael Heim (Siegfried), Peter Tilch (Gunther), Oliver Weidinger (Alberich), Heeyun Choi (Hagen), Yamina Maamar (Brünnhilde), Peggy Steiner (Gutrune), Judith Gennrich (Waltraute), Emily Fultz (Woglinde, 3. Norn), Sabine Noack (Wellgunde, 2. Norn), Reinhild Buchmayer (Floßhilde, 1. Norn), Niederbayerische Philharmonie und der Opernchor des Landestheaters Niederbayern