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Landshut/Passau – mit Gilbert & Sullivans „Trial by Jury“ und Puccinis „Gianni Schicchi“ – eine gelungene Kombination im Landestheater Niederbayern 

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Landshut/Passau – mit Gilbert & Sullivans „Trial by Jury“ und Puccinis „Gianni Schicchi“ – eine gelungene Kombination im Landestheater Niederbayern 

©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai

Die Uhr tickt. Der Gerichtssaal füllt sich mit absurden Persönlichkeiten. Drei Hammerschläge und mit einem schwungvollen Orchestereinsatz beginnt…

„Trial by Jury“, eine pointiert überzogene Schwurgerichtsverhandlung. Es ist Gilbert & Sullivans erste Oper, schon bei der Premiere 1875 ein absoluter Hit und Auftakt zu weiteren 12 Opern, den berühmten Savoyopern, mit denen das Erfolgsduo die englische Oper, very british, neu belebte. Gilbert mit Erfahrung als Anwalt parodiert pointiert den Narzissmus der kapitalistischen, geld- und genussorientierten Wohlstandsgesellschaft, indem er seinen Protagonisten genau das sagen lässt, was man über die gesellschaftliche Etikette normalerweise vertuscht. Sullivan findet dazu eine spritzige, klangdifferenzierte Musik, die den überzogenen Plot und die absurden Pointen dynamisiert, zugleich die typisierten Akteure psychologisch durch empathische und dissonante Melodik ausleuchtet und viel Raum für schauspielerische und tänzerische Originalität bietet. 

Kombiniert mit Puccinis berühmten burlesken Erbschleicheroper „Gianni Schicchi“, der letzten seiner dreiteiligen „Il Trittico“ gelingt im Landestheater Niederbayern ein ausgesprochen heiterer und musikalisch erhellender Opernabend. 

Unter der musikalischen Leitung von Basil H. E. Coleman und Peter WesenAuer wird der Doppelopernabend zum akustischen Erlebnis. Die Niederbayerische Philharmonie punktet durch differenzierte Klangschönheit, Stilpluralismus, rasante Rhythmik, satirische Dissonanzen, kontrastreiche Dynamik, immer im Dienste der Sänger, die durch instrumentale Untermalung und ihr spezifisches Timbre Akzente setzen. Gleichzeitig wird durch den unmittelbaren Vergleich hörbar, um wie viel mehr Puccinis Instrumentierung dichter und komplexer ist. 

Regisseur Stefan Tilch und Choreografin Sunny Prasch setzen die Musik in amüsante, schwungvolle typisierte Bildsequenzen um, die das Geschehen satirisch kommentieren und die trockene Verhandlung dramaturgisch aufmischen. Der Chor als Volk konterkariert in „Trial by Jury“ durch sein hymnisches Aufrichten und demütiges Zusammenkauern die Strenge des Gesetzes, aber auch die Manipulierbarkeit im hermetischen Gerichtssaal. In selbstbewusster Naivität kreisen die Protagonisten um sich selbst. Ihre persönlichen Untiefen leuchten grell in absurd traumatisierten Sequenzen auf. Durch Edward Leachs klaren Tenor und tänzerische Eleganz wirkt der Angeklagte als sympathischer Lebemann, dem man eigentlich nicht böse sein kann, weil er ist, wie er ist. Stimmlich und optisch überaus charmant und verführerisch interpretiert Emily Fultz Angelina als sehr emanzipierte Klägerin, die genau weiß, wie sie sich zu inszenieren hat, um ihre Ziele zu erreichen. Stefan Tilch enthüllt den Richter als korrupten Schwerenöter und zeigt sich als Meister eloquenter Patternsongs. Dass die eiserne Ritterfigur als juristische Statusfigur (Sophia Wimmer, Leo Körner) am Schluss den tollpatschigen Anwalt Angelinas (William Diggle) mit einem Kuschelhuhn K. o. schlägt, zeigt einmal mehr, was Wahrhaftigkeit in diesem System noch Wert ist. 

Raffiniert weitet sich in „Gianni Schicchis“ das Bühnenambiente. Über dem Schlafzimmer fliegen die Vögel am Dom von Florenz vorbei, während Buoso schwer atmend in den letzten Zügen liegt und doch immer wieder energisch hochschnellt, sobald einer der zehn Verwandten nachschaut, ob er der Zeitliche schon gesegnet hat. Commedia dell`Arte pur. Ausgesprochen kurzweilig, mit aktuellen Anspielungen und boulevardesker Leitmotivik, setzt das Ensemble das Geschachere um das Erbe nach Buosos Tod um. Als bekannt wird, dass er alles dem Kloster vermacht hat, soll Gianni Schicchi dem Notar ein neues Testament diktieren. Das fällt natürlich anders aus, als die Erben erwarten. 

In den turbulent burlesken Szenen lässt die tschechische Altistin Lucie Ceralová als Buosos Cousine durch ihr durchdringendes Timbre aufhorchen. Tenor Edward Leach präsentiert den verliebten Neffen mit gesanglicher Italianità, wobei in der besuchten 2. Vorstellung die final zunehmende Klangschönheit das stellenweise Forcieren in den Höhen schnell vergessen ließ. Der südkoreanische Bariton Byung Jun Ko überzeugt in der Titelrolle stimmlich und schauspielerisch durch kraftvolle Agilität. Natasha Sallès, als sehr moderne Lauretta konzipiert, singt Puccinis berühmte Arie „O mio babbino caro“ mit jugendlicher Frische. Dass sie die Erbstreitigkeiten auf der Dachterrasse mit zappelten Beinen karikieren muss, ist allerdings des Guten zu viel, wäre als Pointe attraktiver als in Dauerschleife. Doch die Oper selbst könnte, wie ein Besucher bemerkte, „ruhig länger“ sein. 

Künstlerisches Team: Basil H. E. Coleman, Peter WesenAuer (Musikalische Leitung), Stefan Tilch (Regie), Karlheinz Beer (Bühne), Dorothee Schumacher (Kostüme), Sunny Prasch (Choreografie), Guiran Jeong (Choreinstudierung), Swantje Schmidt-Bundschuh (Dramaturgie) 

Mit: Peter Tilch, Emily Fultz, Edward Leach, William Diggle, Manuel Pollinger, Oscar Marin-Reyes, Leo Körner/Sophia Wimmer, Frank Dolphin Wong/Byung Jun Ko, Natasha Sallès, Lucie Cerlová, Emma Knonbauer/, Kilian Oktabec, Sabine Noack, Franziskus Rohmert, Martin Limmer, Thomas Käser Burkhard Lipp, Stefan Metzger/Norbert Hohl, dem Chor des Landestheaters Niederbayern und der Niederbayerischen Philharmonie