©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
Genreübergreifend verwandeln Peter WesenAuer (Komposition, Dirigat) und Stefan Tilch (Libretto, Regie) Joseph Roths Novelle „April. Geschichte einer Liebe“ (1925) in eine nostalgische, unkonventionell moderne Bilderbuchoper. So mühelos wie dieses kleine Kunstwerk über 300 Kilometer hinweg im regen Mailaustausch in kürzester Zeit entstand, so spritzig, fröhlich und unkompliziert wirkt es. Der wetterlaunische April wird zum Symbol für die Jugend mit ihren Liebessehnsüchten und dem Mut Neues zu wagen.
Vor seiner Reise nach New York verweilt Ich in einer kleinen Stadt. Es ist April. Frühlingsgefühle erwachen. Er beginnt eine Liason mit der Kellnerin Anna, entdeckt aber beim Anblick eines schönes Mädchens seine wahre Sehnsucht. Das Mädchen ist krank und wird bald sterben. Ich reist weiter nach New York. Das klingt traurig, verwandelt sich aber über die Musik und Regie, Bühnenoptik (Charles Cusick Smith, Philip Ronald Daniels) und Tanz (Sunny Prasch) in eine zauberhaft beschwingte eineinhalbstündige Oper.
©Landestheater Niederbayern, Foto: Peter Litvai
Peter WesenAuer entfaltet eine famose Klangwelt, in der die unterschiedlichsten Stilrichtungen aufleuchten. Mit gefälligen Melodien und atonalen Passagen, impressionistischem Flirren und folkloristischer Perkussion, Kaffeehaus- und Filmmusik, Harfenbalsam und schrägen Trompeten untermalt und belebt er das Bühnengeschehen, sehr subtil, dynamisch und präzise von der Niederbayerischen Philharmonie gespielt. Die kurzen Arien binden durch große Tonsprünge und abgründige Akzentuierungen an die moderne Oper an. In den Partien der drei Protagonisten wird die Gratwanderung unerfüllter Sehnsüchte hörbar, allen voran Anna, die Henrike Henoch als patente, herzensgute Frau zeichnet, die Krisen zu meistern weiß, Gefühle äußert und um ihre neue Liebe kämpft, auch wenn die alte noch im Herzen ist. Mit melodischen Vokal-Arien avanciert das schöne Mädchen, alias Reinhild Buchmayer, zum ätherischen Sehnsuchtsbild. Entsprechend hin-und hergerissen ist Ich, dessen Achterbahn der Gefühle Martin Mairinger klangschön zum Ausdruck bringt.
Jede Szene besticht klanglich und optisch durch originelle Details. Im Wirtshaus entwickelt sich aus dem Klappern der Bierkrugdeckel nach mehr Bier eine witzige Perkussion, die Anna slapstickartig fast in den Knock-out treibt. Der Oberpostdirektor möbelt sein Selbstbewusstsein durch Uniform und Flamenco-Zapateados auf. Der Eisenbahnassistent stolziert im Stechschritt, ein anderer tänzelt tangomäßig. Jeder hat eine Eigentümlichkeit, um sein Ego und darin verborgene Sehnsüchte darzustellen. Die Geschichte von Abel, der seine Lebensliebe, kaum auf dem Schiff erblickt, im Hafen von New York wieder aus den Augen verliert und nach Europa zurückreist, wird als Stummfilm eingeblendet zur Parabel für den Umgang mit Sehnsucht, aber auch für die technologische Zeitenwende zwischen nostalgisch rückwärts gerichtetem Europa und in die Zukunft blickendem Optimismus der USA. Das junge Ich wählt den mutigen Aufbruch und ebenso diese Oper, die so rasant erzählt, dass für Zwischenapplaus kein Platz ist. Umso größer ist der Schlussapplaus.
Künstlerische Leitung: Peter WesenAuer (Komposition, Musikalische Leitung), Stefan Tilch (Libretto, Inszenierung), Sunny Prasch (Choreografie), Charles Cusick Smith, Philip Ronald Daniels (Bühne, Kostüme), Florian Rödl (Video), R. Florian Daniel (Chor), Swantje Schmidt-Bundschuh (Dramaturgie)
Mit: Martin Mairinger (Ich), Joachim Vollrath (alt), Henrike Henoch (Anna), Reinhild Buchmayer (Das Mädchen am Fenster), Edward Leach (Postdirektor, Dichter), Albin Ahl ( Briefträger, Nachtwächter), Matthias Bein (Reisende), Luciano Mercoli (Eisenbahnassistent), Daniel-Erik Biel (Kellner Ignatz) Julian Stöcklein (Wahnsinniger, Mann mit Leiter) und der Niederbayerischen Philharmonie, dem Chor und der Statisterie des Landestheater Niederbayern