©Michaela Schabel
Eigentlich war Orpheus mit Samuel Mariño besetzt.
Vor drei Wochen bekam ich völlig unerwartet einen Anruf die Rolle zu singen. Die Entscheidung war schwierig. Ich hatte so viel zu tun, war so beschäftigt. Meine Stimme ist auch höher als in den üblichen „Orfeo ed Euridice“-Interpretationen. Aber ich sagte trotzdem zu, die Partie ist einfach zu schön, um sie abzusagen und das Team gab mir jede Unterstützung, die ich brauchte. Außerdem sollte es Glucks ursprüngliche Parma-Fassung für Sopranstimme werden.
Was fasziniert Sie so an Orpheus?
Er ist kein Held im üblichen Sinn. Er verkörpert die Liebe, das wichtigste Gefühl für uns Menschen. Er liebt so stark, dass er sogar die Dämonen zurückweist. Durch die Kraft der Liebe agiert er selbst negativen Elementen gegenüber liebevoll und kann sie dadurch besiegen. Seine Liebe reduziert das Negative. Das ist seine eigentliche Heldentat. Das gilt auch für uns Menschen. Wir müssen alles geben, nicht um Helden zu sein, sondern um zu lieben. Und wenn wir im Alltag kämpfen müssen wir uns fragen, welche Seelen hinter den Menschen stehen.
©Michaela Schabel
Finden Sie es schade, dass „Orfeo ed Euridice „nur“ konzertant wird?
Natürlich liebe ich es auf der Bühne zu spielen. Ich liebe diese Atmosphäre. Im Kostüm, mit Make-up, durch die Bewegungen kann man viel stärker in die Figuren eintauchen. Aber da ich nur drei Wochen Zeit hatte, diese neue Partie einzustudieren, kommt mir die konzertante Version entgegen.
Sie sagten, Sie seien sehr beschäftigt gewesen.
Ja, seit Juni bin ich ständig unterwegs, von Polen über Wien und Stockholm bis Bayreuth bei den zweiten Barockfestspielen als Berardo in „Carlo il Calvo“ und fast parallel dazu Orpheus in Fürth.
Haben Sie für sich ein besonderes Antistress-Programm?
(Bruno de Sá lacht) Ja, im Hotel schaue ich Netflix-Serien an, zur Zeit „Chicago Med“. Dabei kann ich herrlich abschalten. Schade ist nur, dass es in Englisch und nicht in Portugiesisch zu sehen ist.
Eigentlich wollten Sie Musiklehrer werden?
Das stimmt. Singen wollte ich nur aus Spaß, nicht als Künstler. Aber bei der Ausbildung merkte ich bald, wie stark mich die Bühne begeisterte. Als Sänger kann ich jetzt mein eigener Lehrer sein und Kollegen Tipps geben. Ich erzähle nicht, was im Lehrbuch steht, sondern von meinen eigenen Bühnen- und Lebenserfahrungen.
Seit vier Jahren leben Sie jetzt in Europa.
Das ist einfach zu erklären. In Brasilien ist die klassische musikalische Tradition bei weitem nicht so groß und auf einige Städte beschränkt. Politisch und ökonomisch bedingt gibt es nicht so viele Projekte, obwohl Brasilien ein so großes Land ist. In Europa gibt es viel mehr Theater und es ist die Heimat der Barockkultur. In Deutschland entstanden durch die Barockfestspiele in Bayreuth und die Gluck-Festspiele in Nürnberg und Umfeld neue Schwerpunkte der Barockmusik. Da mein Repertoire in erster Linie auf Barockmusik beruht, bekomme ich in Europa viel mehr Jobs.
Der Wechsel nach Europa war sicher nicht leicht.
Da haben Sie recht. Das größte Problem war die Bürokratie bei der Immigration. Es war sehr kompliziert und teilweise auch sehr rassistisch. Das zweite Problem ist mein Heimweh. Ich vermisse meine Familie, meine Freunde und auch das brasilianische Essen, vor allem das leckere Street Food. Es gibt zwar in Berlin brasilianische Lokale, aber in Brasilien schmeckt es doch ganz anders. Ich freue mich schon riesig, wenn ich im November endlich wieder in meine Heimat reisen kann.
Ihre Karriere findet in Europa statt. Wie wirkte sich die Pandemie auf Ihre Karriere aus?
2020 war in der Tat ein schwieriges Jahr. Im ersten Teil war ich noch in Basel engagiert, anschließend wurden viele Projekte, Konzerte und Opern abgesagt. Ein Engagement in Australien wurde gecancelt. „Carlo il Calvo“ in Bayreuth war im Grunde die einzige große Produktion.
Wer unterstützt Sie bei der Karriereplanung?
Ich bekomme große Unterstützung durch meine Agentur Parnassus Arts Productions, inbesondere von Jérémie Lesage. Mit ihm plane ich sorgfältig mein Repertoire, die Einspielungen von CDs, die Zeitplanung. Ich kenne meinen Körper und meine Stimme sehr genau. Beides soll in Balance bleiben, nichts überhastet und voreilig geschehen.
Haben Sie Traumrollen im Visier?
Nein. Die Partie, die ich gerade singe, ist meine jeweilige Traumrolle. In sie tauche ich ganz ein und diese Rollen können auch ganz unterschiedlich sein. In Orfeo besinge ich die Liebe. Der junge „Nero“ ist das pure Gegenteil.
Wie sieht Ihr Traumteam aus?
Das entsteht während der Produktion, wenn alle ihren Job hochprofessionell machen, die Musik verstehen und die Geschichte erzählen können. Der persönliche Kontakt untereinander ist mir dabei sehr wichtig. Gerade weil ich so weit von meiner Familien entfernt lebe, wird das Team während der Probenzeit für mich zu einer Ersatzfamilie. Das menschliche Einvernehmen, das dabei entsteht, ist auch für das Publikum fühlbar. Als ich in Stockholm wegen einer Erkrankung die Premiere nicht singen konnte, unterstützte und half mir das ganze Team. Die menschliche Beziehung über die Bühne hinaus ist für mich sehr wichtig und großartig. Dann habe ich das Gefühl nicht Kollegen, sondern Freunde zu haben.
©Gluck-Festspiele 2021, Khrystyna Jalowa
Fünf Stunden später begeisterte Bruno de Sá auf der Bühne als Orpheus das Publikum, ein wahrhaft glänzender Auftakt der ersten Gluck-Festspiele und der Leitung von Michael Hofstetter.
Meine Kritik zur Oper wird in der Oktoberausgabe von „Das Opernglas“ erscheinen.