©Staatsoper Berlin, Foto: Arno Declair
Eine Opernrarität gibt es derzeit an der Staatsoper Berlin zu erleben. Leoš Janáčeks „Die Ausflüge des Herrn Brouček“ (1920), zwei Zeitreisen eines kleinbürgerlichen Spießers, hatte es…
immer schwer sich außerhalb Tschechiens auf großen Opernbühnen zu etablieren. Versoffen und gefräßig ist Herr Brouček der absolute Antiheld. Seine zwei Ausflüge zum Mond und zurück in die Vergangenheit des 15. Jahrhunderts zu den Hussitenkriegen wirken wie zwei abstruse Miniopern, sind inszenatorisch aufwändig, die Librettos voller Anspielungen auf die tschechische Geschichte und die Partituren tonal extrem anspruchsvoll. Wie unterhaltsam und witzig diese Oper sein kann, beweist die Berliner Staatsoper. Janáček-Experte Simon Rattle und der renommierte kanadische Regisseur Robert Carsen inszenieren ein großartiges Opernerlebnis, das zwischen „Moonstock 68“ und „Prager Frühling“ inklusive Happy-Flower-Bewegung und dem legendären „Eishockeysieg gegen die Russen“ ausgesprochen originell, kurzweilig und in sich stimmig wirkt.
Die Rahmenhandlung ist simpel. Die Bühne wird zunächst zum großen Wirtshaus. Die Kellnerin Malinká flirtet mit Brouček, um ihren Freund eifersüchtig zu machen, weil er mit einer anderen getanzt hat. Doch Brouček will nur Würstchen essen, Bier trinken und seine Ruhe haben. Er träumt sich auf den Mond. Im Vollrausch wird der zylindrisch überdimensionierte Bierbraukessel zur Rakete, die sich mit Feuerschweif abhebt und ihn nahtlos via Dokumentaraufnahmen des Apollo-11-Erkundungsflugs auf den Mond befördert. Er erlebt dort halluzinativ Woodstock, die Beatniks und knallbunte Flower-Powerbewegung inklusive Drogen und Gurus. Die tanzend wogende Menge wird für Brouček der Gipfel des Irrsinns, denn er will weder Schönheit noch Liebe, nur Würstchen und Bier, so dass er überglücklich ist, wieder in der heimischen Schenke zu erwachen.
Deutlich ernster wird seine zweite Reise, auf der Brouček mitten unter die Rebellen im Kampf gegen die Besetzung der Russen trifft. „Ein guter Trinker ist ein guter Kämpfer“ gilt für ihn nicht. Er weigert sich mit Waffen für die Freiheit seiner Heimat zu kämpfen, während dokumentarische Videos Bilder der Niederschlagung des Prager Frühlings in Erinnerung rufen, aber auch die Freude über den Eishockeysieg gegen die Russen.
Reisen bildet, nicht bei Brouček. Er ist und bleibt ein Spießer mit eingeengtem Wahrnehmungsfeld, egal wie die Zeiten sich ändern. Ihn interessiert nur das leibliche Wohl und seine individuelle Bequemlichkeit, was sich auf Malinká genauso beziehen lässt, in ihrem Fall ist es nicht die Wurst, sondern die Liebe. In diesem Kontext ist das zweifache Happyend das satirische i-Tüpfelchen dieser tschechischen Nationaloper, übertragbar auf viele Länder.
Diese optische und bewegungsintensive Fulminanz kontrastiert Rattle bei seinem „Brouček“-Debüt mit subtiler Dynamik, sehr transparenter Klangschönheit und warmer Tonfärbung. Im zweiten verschattet er die Atmosphäre, indem er die tiefen Tonalitäten aufleuchten lässt, aber immer die Sänger im Visier behält, wobei die britische Sopranistin Lucy Crowe als Malinká, Etherea und Kunka durch ihr kraftvolles Volumen und extreme Tonsprünge am meisten aufhorchen lässt. Der tschechische Tenor Aleš Briscein gibt Mazal tonal männliche Dominanz. Peter Hoare in der Titelrolle interpretiert Brouček sängerisch souverän und schauspielerisch parodistisch als tschechischen Durchschnittsbürger und der Chor sorgt stimmlich und bewegungsfreudig für atmosphärische Sequenzen.
Als Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn im Rahmen des Janáček-Festivals und dem Teatro Real Madrid ist hier eine einmalige Inszenierung gelungen, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Künstlerisches Team: Simon Rattle (Musikalische Leitung), Robert Carsen (Inszenierung, Licht, Dramaturgie), Radu Boruzescu (Bühne), Annemarie Woods (Kostüme), Peter van Praet (Licht), Dominik Žižka (Video), Rebecca Howell (Choreografie), Gerhard Polifka (Chor), Patricie Částková, Elisabeth Kühne (Dramaturgie)
Mit: Peter Hoare, Aleš Briscein, Gyula Orendt, Lucy Crowe u.a.