©Staatsoper Berlin, Monika Rittershaus
Becketts „Endspiel“ ist Kult. In seinem clownesk absurden Stück spiegelt sich die Absurdität der menschlichen Existenz angesichts seines Ablebens. 1957 war der ungarische Komponist György Kurtág (*1926) von diesem Theaterstück…
so begeistert, dass er alle Werke Becketts studierte. Erst im Alter von 85 Jahren vertonte er, einer der erfolgreichsten Komponisten zeitgenössischer Musik, dessen „Endspiel“. Nach sieben Jahren gab er 2018 die Oper für die Uraufführung an der Mailänder Skala unter dem Dirigat von Pierre Audi frei, obwohl das Werk nicht ganz fertig war. Es wurde als internationales Großereignis rezipiert, auch kritisiert und trotzdem zur Uraufführung der Spielsaison 2018/19 gekürt. Nach der gelungenen deutschen Erstaufführung in Dortmund 2022 ist „Fin de partie“ jetzt an der Staatsoper Berlin in einer spannenden Inszenierung von Johannes Erath zu sehen.
Er überrascht gleich zu Beginn sehr gekonnt, indem das „Endspiel“, im Prolog von Kurtág um Becketts vertontes Gedicht „Roundelay“ erweitert, mit Winnie aus den „Glücklichen Tagen“ auf der Bühne. Noch sitzt sie vergnügt nur bis zur Taille mit einem sonnendurchglühten Schirmchen in einem dunkel basaltischen Sandhaufen. „Dieser Tag, wird wieder ein glücklicher gewesen sein“. Dahinter verweist ein großer weißer Kreis vor schwarzem Kosmos auf das Gegenteil, den Exit, für einen Moment konnotativ aufgeladen als assoziierbare dystope Sonnenfinsternis.
Doch auf einer erhöhten Bühne, wo sich später der Lichtkreis in eine Art Brennglas verwandelt, kehrt Erath in Becketts personelles Kuriosenquartett zurück, das sich theatralisch durch dessen klare Regieanweisungen ins Gedächtnis eingeprägt hat und fügt originäre Sequenzen hinzu. Vier Personen, die sich gar nicht leiden können, stellen den Rest der Menschen dar auf dem Weg ins Nirwana. „Ende, es ist zu Ende, es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende“ mit dem blinden, gelähmten Hamm, der umgeben ist von seinem Diener Clov und seinen Eltern Nagg und Nell, die ihre Beine beim Tandemfahren verloren haben und wie bei Beckett im Theater als Muppet-Figuren in Mülltonnen logieren. Lichtregie und Videotechnik machen zwischenmenschliche Dominierungen und Verzwergungen in stummfilmmäßiger Schwarz-Weiß-Optik überdeutlich.
©Staatsoper Berlin, Monika Rittershaus
In Glitzerfrack bzw. Glitzersmoking peppt Erath die desolate Lage von Hamm und Clov als Zirkusfiguren auf. In der Mitte eines umgestürzten Riesenrads macht er Hamm passend zu seinem großen Gesangspart zum reflektiven Zentrum eines aus dem Lot geratenen Lebens. Die Gondeln leuchten bunt, während er schon im Dunkeln in der Mitte thront. Dabei wandelt Erath Becketts Clownerie immer mehr in existentielle Melancholie. Er fokussiert auf Details ohne optisch zu überfrachten und gibt damit Kurtágs reduzierten Klangräumen mit seinen fragmentierten Tönen, komplexen Rhythmen und überraschenden Farbnuancen durch ungewöhnliche Instrumente wie dem Cimbalon und der Celesta Raum sich zu entfalten. Gastdirigent Alexander Soddy findet die Balance zwischen den feinen Nuancen zwischen Tragik und Komik, die agogische Elaszität in den hochkomplexen Rhythmen und erweist sich als Meister der Pausen. Die MusikerInnen der Staatskapelle brillieren mit präzisen Einsätzen und Klangsicherheit, wodurch Kurtágs minimalistisches Werk fern üblicher Opernvorstellungen bestens zur Wirkung kommt.
Bei den Gesangspartien, allesamt sehr stimmig besetzt, kommt noch die schauspielerische Komponente hinzu, wobei Mezzosopranistin Dalia Schaechter (Nell), Tenor Stephan Rügamer Bariton (Nagg) und Bo Skovhus (Diener) mit echten Beckett-Slapsticks amüsante Akzente setzen und Laurent Naouri rollenadäquat als Hamm im Rollstuhl mit seinem satten balsamischen Bass-Bariton und zuweilen mit Trillerpfeife das Geschehen nicht nur dominiert, sondern auch eine ungewöhnliche und mutige Gelassenheit verbreitet, möglich durch die final nochmals aufleuchtende Erinnerung an „Glückliche Tage“, so die Interpretation an der Berliner Staatsoper. Allerdings muss schon ein Freund der zeitgenössischen Musik sein, um sich für Kurtágs „Fin de partie“ begeistern zu können.
Künstlerisches Team: Alexander Soddy (Musikalische Leitung), Johannes Erath (Inszenierung)
Mit: Laurent Naouri (Hamm), Bo Skovhus (Clov), Dalia Schaechter (Nell), Stephan Rügamer (Nagg)