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CD – „…verso l´interno…“ Klavierwerke von Christian FP Kram – von der Tiefe des Wesentlichen

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CD – „…verso l´interno…“ Klavierwerke von Christian FP Kram – von der Tiefe des Wesentlichen

©Castigo, 2023

Die Tiefe lässt aufhorchen, schwingt nach trotz hoher Töne. Erst als diese sich zu Akkorden verdichten, setzt sich Helligkeit durch, wobei Harmonik ins Dissonante mutiert. Schon die erste Klavierimpression, keine zwei Minuten lang, macht…

Christian FP Krams Kompositionsprinzip in den ersten fünf „Impressionen  für Klavier“ (2006) hörbar, „kein Ton zu viel und jeder am richtigen Platz“. Seit über 30 Jahren komponiert Kram zwei- und vierhändige  Klavierwerke, in denen sich seine Klangwelten mit ihren spezifischen Tonhöhen, Rhythmen, Formen und Metren offerieren. Sehr kraftvoll und differenziert von Anja Kleinmichel und den anderen fünf PianistInnen interpretiert arbeiten sie die Kontraste von Ton und Melodie, Punkt und Linie als synergetisches Hörbild heraus, ganz nach Krams Intention „…verso l’interno…“, nach innen.

Kram lässt jeden Ton ausschwingen bis ins kosmische Rauschen, fühlt in die emotionalen Tiefen und Höhen hinein, verdichtet die Tonsphären zu einem akustischen Wirbelsturm, den das CD-Cover sinnbildlich durch das Auge eines Hurrikans visualisiert. Über komplementär aufeinander bezogene Quarten und Quinten bindet er an die klassische Musiktradition an, aber auch wie in der „Impression Nr. 5“ über rhythmische Akkorde an jazzige Elemente. Im Mittelpunkt steht auch hier der tiefe Ton, der sich zu Akkorden und Tonlinien aufbaut und sich final wieder in markante Einzeltöne auflöst, die das Eindringen in die Tiefe des Wesentlichen suggerieren.

Im vierhändigen „Corale Recondito“ (1998) wird Krams tonales Verständnis noch intensiver hörbar. Töne steigen auf und ab, hallen nach, indem die Taste losgelassen und stumm nachgedrückt wird. Im Wechselspiel von flirrenden, gegenläufig bitonalen Tonlinien über die ganze Tastatur und bis zu 12-stimmigen Dur- und Mollakkorden bilden sich subtile Toncluster, die durch das transparente Spiel von Paola Rocca und Luca Marchetti, die auch das folgende Stück interpretieren, faszinierende Klangwelten erschließen.

Schon über den Titel von „GammaAccordo e ScalArmonia“ (2005), zu deutsch Tonleiter-Akkord und Tonfolge-Harmonie“, erklärt Kram diese vierhändige, minimalistisch kontrapunktorische Komposition. Tonleitern und Akkorde überlagern sich, gewinnen an Dichte wie von Schmetterlingen umflirrt. Alternierend zwischen akkordischer Wucht und immer länger dahineilenden Tonkaskaden entwickelt sich ein mitreißendes kontrapunktorische Spiel, in dem die Läufe eine faszinierende Plastizität entwickeln, die in lichter Höhe verklingt.

Ganz anders beginnen die „Deux Poémes in memoriam Alexander Skrjabin“ (2015) für Krams Verhältnisse auffallend zart. Sein Wechselspiel von wuchtigen Akkorden und glasklaren aufsteigenden und fallenden Tonlinien bekommt eine poetische Nuancierung und eine ungewohnt zarte Tonfärbung. Doch Kram ahmt nicht nach, mit seinen markanter Klangsprache mischt er Skrjabins Poesie auf. Pianist Alexander Meinel setzt beide Musikstile gekonnt um. Mit der unerwarteten Wucht eines Akkords zersprengt er lyrische Tonlinien, sich im zweiten Poem aus der Tiefe über harmonische und dissonante Akkorde trotz kontrapunktischer Erdung noch einmal in hohe Lagen hinaufarbeiten, sich zu einem filigranen Klangspiel verdichten und ganz sanft verklingen.

In „Pace!“ und „Adesso!“, „Zwei  Klavierstücke mit Morsecodes“ (2014) experimentiert Kram mit rhythmischen Strukturen, den Morsezeichen für „Frieden!“ und „Jetzt!“ neben dem Tastenklang auf einen Gußeisenrahmen geklopft. Durch verschiedene Kompositionsverfahren erweitert in immer neuen Tonhöhen rhythmisch verschoben gelingt Moritz Ernst ein spannendes dialogisches Einfordern von „Pace“ und „Adesso“ (2014).

Schrill, grell, experimentell klingt Krams „C. Z. – Requiem für einen viel zu früh verstorbenen Freund“ (2015). Entstanden aus der Trauer um Carsten Zipfel kreist Krams Komposition mit nur einer 7-teiligen Tonreihe und 8-teiligen Klangreihe, zuweilen in Morsezeichen-Rhythmik um Schmerz und Verlust, wobei Birgit Polter in den kurzen Melodien melancholische Erinnerungen assoziieren lässt und in den konträren Tiefen und Höhen ein existentielles Hinterfragen.

Schwer und nachdenklich wirken auch die „Drei Postludes“ (1995), tonale Miniaturen, in denen Kram ganz auf die emotionale Kraft der Töne vertraut, die Anja Kleinmichel im dritten Postlude durch rasende Tempi verdichtet, durch eine lange Pause durchbricht, nochmals  ein vehementes Inferno aufbaut, das plötzlich abbricht. Da müsste eigentlich noch etwas kommen. Ja, die CD mehr als noch einmal hören, um die existentielle Tiefe von Krams Musik noch intensiver zu erleben. 

Christian FP Kram (*1968 in Volkach, Unterfranken) studierte Musiktheorie und Klavier an den Hochschulen in Essen, Düsseldorf und Leipzig. Er erhielt mehrfach Stipendien und war Preisträger diverser Kompositionswettbewerbe. Er besuchte Meisterkurse bei Wolfgang Rihm, Osvalldas Balakauskas, Paul-Heinz Dittrich, Gerhard Stäbler, Mathias Spahlinger, Folke Rabe und Dieter Schnebel. Von 2008 bis 2010 war er Beiratsmitglied für Musik und Darstellende Kunst der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen. 2018 promovierte er über das Liedschaffen Wolfgang Rihms. 

Kram komponierte die Oper „Leonce und Lena“, die „Rilke-Gesänge“ für Vokalquartett und Klavier (Uraufführung bei der Expo 2000 in Hannover), „Assoluto“ für symphonisches Blasorchester, den Orchesterzyklus „Etüden“, zahlreiche Lieder, Ensemble- und Kammermusik

Christian FP Kram „…verso l’interno…“ mit Anja Kleinmichel, Paola Rocca, Luca Marchetti, Alexander Meinel, Moritz Ernst, Birgit Polter, Label Castigo, DDD, 2023