©Hansjörg Schellenberger
In Paris gibt es nicht umsonst La Rue de Harpe. Es herrschte einst ein regelrechter Harfenkult, als Mitte des 18. Jahrhunderts in Paris das Instrument des deutschen Harfenbauers Jakob Hochbrucker vorgestellt wurde. Zum Klavier oder stattdessen lernten Mädchen aus gutem Hause Harfe. Die Harfenbauer Gustave Lyon aus dem Geschäftshaus Pleyel und in Konkurrenz Sébastian Érard ermöglichten mit neuen Techniken das chromatische Spiel auf der Harfe. Érards Doppelpedalharfe setzte sich durch, woraus sich die heutige Konzertharfe entwickelte.
Zusammen mit Karl-Heinz Schütz, Soloflötist der Wiener Philharmoniker, und den Berliner Symphonikern unter dem Dirigat von Hansjörg Schellenberger präsentiert Margit-Anne Süß vier außerordentliche Konzerte für Harfe, Flöte und Orchester quer durch die Musikgeschichte, die allesamt in Paris komponiert wurden.
Die musikalische Reise beginnt mit Mozarts „Konzert in C-Dur für Flöte, Harfe und Orchester KV 299“ ein Auftragswerk für einen Pariser Adeligen, einem begeisterten Flötisten, und dessen Tochter, einer talentierten Harfinistin.
Die Eleganz dieser Komposition leuchtet gerade in den Solopassagen auf, die alternierend die Melodien spielen, wiederholen, variieren und ausschmücken, die Tempi temperamentvoll oder mit zärtlich inniger Hingabe interpretieren. Ohne Pathos erstrahlt die Komposition, lassen die Musiker festliche und beschwingte Szenarien, die Solisten hauchzarte Tonwelten virtuos verziert strahlen. Die Flöte gibt die klaren Klanglinien vor, die die Harfe sehr subtil und leicht, aber auch kraftvoll umspielt. In brillanten Klangfarben, wechselnder Tonführung dialogisieren die SolistInnen, wobei immer wieder die Flöte die Höhen auslotet, die Harfe die Tiefen ergründet und sich gleichzeitig eine sehr ausgewogene Balance zwischen Soli und Orchester einwickelt. Margit-Anne Süß spielt die Partitur auf einer Einpedalharfe und beweist dabei exzellente, präzise Artikulation.
Mit diesem Harfentyp spielt sie auch Francois-Adrien Boiëldieus „Concerto pour harpe et orchestre en do-majeur“, das er 18 Jahre nach Mozart 1800 komponierte. Boiëldieu war ein bekannter Opernkomponist und Freund des Harfenbauers Érard, was die wunderbar perlenden, hochemotionalen Harfenpassagen erklärt, deren sprühende Tonkaskaden Margit-Anne Süß mit zauberhafter Virtuosität in narrativer Vielschichtigkeit interpretiert, wodurch sie dem feierlichen Duktus des Orchesters filigrane Tonmalerei entgegensetzt und beide Seiten wunderbar zur Wirkung kommen. Im Andante entwickelt die Harfe aus dem romantisch unheilschwangeren, düster pulsierenden Anfangsmotiv des Orchesters eine sehnsuchtsvolle Melodie, die Margit-Anne Süß über luftige hochartifizielle Glissandi direkt in die lebensfrohe Verspieltheit des „Rondeau“ überleitet und, vom Orchester temperamentvoll angefeuert, in neuen Variationen steigert, in Ritardandi fast verhauchen lässt, um in immer nuancierter perlenden Glissandi auf das Finale zu zielen.
In den Stücken zwei und vier präsentiert Margit-Anne Süß den Klang der Zweipedalharfe. Claude Debussy komponierte zwar seine beiden Tänze „Danse Sacré“ und „Danse Profane“ als Auftragsarbeit für die chromatische Harfe aus dem Hause Pleyel, aber in die Partitur flossen viele Ideen des französischen Harfinisten Pierre Jamets ein, der sich bereits der Zweipedalharfe zugewandt hatte. In diesem Sinne interpretiert Margit-Anne Süß diese Tänze in wunderschönen Klangakkorden, die sich in geheimnisvoll chromatische Arpeggios auflösen, in mystischer Tiefe verhallen und nahtlos in „Danse Profane“ übergehen. Umrahmt von den wellenförmigen, kraftvoller werdenden Tonlinien des Orchesters steigen aus dem Pianissimo rauschhaft irrlichternde Glissandi auf, wird plötzlich eine andere Tonstimmung nachverfolgt, ein berührendes Liebesszenario aufgebaut, das sich euphorisch austobt, verebbt und mit zwei Tönen markant stoppt.
Das ist sicherlich die spannendste Interpretation auf der CD, zumal Margit-Anne Süß beide Danses im Urtext der Komposition spielt, die im Herbst 2022 herausgegeben wurde und nicht die übliche Konzertversion, die von der Harfenistin Henriette Reniè (1875-1956) in einigen Teilen verändert wurde.
Mit der Doppelpedalharfe präsentiert Margit-Anne Süß auch das letzte Stück auf der CD, Camille Saint-Saëns’ „Morceau de concert opus 154 pour harpe et orchestre“. Hier wird die Zartheit des Harfenklangs kompositionell vor allem im dritten Teil im Dialog mit der Oboe und den Bläsern hörbar. Es entstehen leuchtend impressionistische Klangbilder, die sich durch das Orchester weiten, majestätisch struktuiert werden, um frech von der Harfe immer wieder rauschhaft durchbrochen zu werden.
Dass die Soloinstrumente so gut zur Wirkung kommen, ist nur durch das ausgezeichnete Zusammenspiel mit den Berliner Symphonikern möglich. Chefdirigent Hansjörg Schellenberger, viele Jahre als Solo-Oboist im Ensemble, dirigiert es mit kammermusikalischem Atem. Es entsteht ein in sich geschlossener Klangkosmos, in dem Orchester und SolistInnen wunderbar miteinander korrespondieren und sich gegenseitig klanglich akzentuieren. Mit „La harpe á Paris“ ist den Berliner Symfonikern wieder eine beachtenswerte Einspielung gelungen, die klassische Werke zum Funkeln bringt, weniger Bekanntes in den Mittelpunkt stellt und mit Debussys „Danses“ zu den Ursprüngen zurückfindet.