©Label Castigo, 2023
„Das Wohltemperierte Klavier“ auf dem Akkordeon gespielt? Das ist eine absolute Novität. Das „Werk der Werke“, wie es Robert Schumann lobpries, war zwar…
„nur“ ein Sammlung von Musikstücken für die musikalische Weiterbildung der Jugend, womit sich Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) einst um die Stelle des Thomaskantors in Leipzig bewarb, aber es avancierte zu den berühmtesten Werken Bachs. Mit dem „Wohltemperierten Klavier“ (BWV 846-893) präsentierte Bach eine zweiteilige Sammlung (1722 bzw.1140/42) mit jeweils 12 Satzpaaren, einem Präludium und einer Fuge in Dur und Moll, von C-Dur bis h-Moll. Sein Ziel war es mit den insgesamt 48 Satzpaaren die verschiedenen Tonarten in ihren Stimmungen zur Wirkung zu bringen, denn im 17. Jahrhundert galten Tonarten umso verstimmter je weiter sie von C-Dur entfernt lagen, weshalb Komponisten diese Tonarten mieden.
Ursprünglich mit Cembalo und Klavier gespielt weitete sich der Kreis der instrumentalen Interpretationen. Teile aus dem „Wohltemperierten Klavier“ gehören inzwischen schon zum Pflichtbereich in den Profi- und Jugendkategorien bei größeren Akkordeonwettbewerben. Aber alle 48 Sätze des „Wohltemperierten Klaviers“ auf dem Akkordeon als Doppel-CD eingespielt zu hören ist eine echte Überraschung des Labels Castigo.
Nebls Ziel ist es die Stimmungen der Tonarten in den einzelnen Satzpaaren über die akustischen Möglichkeiten des Akkordeons herauszuarbeiten. Über das Programm bietet er den HörerInnen an Hand subjektiver tonaler Einschätzungen berühmter Persönlichkeiten Vergleichsmöglichkeiten an. Für Rosseau war C-Dur „für fröhliche Sachen und solche, die Größe haben“. Dieser Meinung scheint sich Nebl anzuschließen. Sakral steigen die Melodien bei seiner Akkordeonversion des Präludiums himmelwärts, wie mit der Orgel gespielt, fröhlich beschwingt und langsam ausklingend. In der Fuge verdichtet sich der polyphone Farbklang majestätisch, dekoriert mit Flötentrillern. Die meisten Stücke wirken sehr sakral mit feierlich majestätischem Duktus, manche, den Moll-Tonarten geschuldet melancholisch.
Den Schleier der Melancholie breitet er im Präludium XII f-Moll aus und verwandelt ihn in der dazugehörigen Fuge zu einer andächtigen, sich erhellenden Stimmung, während er die Melancholie im Präludium VIII es-Moll durch die Triller sehr höfisch verträumt präsentiert.
Andere Stücke akzentuiert Nebl in tänzerischer Polyphonie, wobei tiefe und höhe Melodielinien in volkstümlicher Harmonie alternieren. In F-Dur schrauben sich Melodielinien tänzerisch wie ein Ländler euphorisch in himmlische Höhen, die Nebl mit einem kurzen Anklang an den argentinischen Tango in die Gegenwart holt, eine der interessantesten Interpretationen.
Die eigenen subjektiven Wahrnehmungen beim Zuhören zu reflektieren oder Stück für Stück mit dem Klavier-Original zu vergleichen macht den Reiz dieser CD aus.
Andreas Nebl (1968*) studierte 1993-2001 Akkordeon bei Prof. Hugo Noth. Zahlreiche Konzertreisen führten ihn in fast alle EU-Länder, nach Russland, Japan, China, Nord- und Südamerika. Seit 2003 leitet er eine Akkordeonklasse am Trossinger Hohner-Konservatorium.
Andreas Nebl „Das Wohltemperierte Klavier“ Bach Johann Sebastian, Label Castigo, 2023