Berlin – Musikfest Berlin – „Hindemith, Zemlinsky, Mahler“ – sehr temperamentvoll vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks  unter der Leitung von Sir Simon Rattle interpretiert

Konzertkritik beim Musikfest Berlin über Sir Simon Rattle präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

Eine Woge der Sympathie empfängt Sir Simon Rattle in der Berliner Philharmonie, wo er von 2002 bis 2018 Chefdirigent war. Beim diesjährigen Musikfest Berlin debütierte er an seiner alten Wirkungsstätte mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das er seit einem Jahr leitet. Das Programm war anspruchsvoll, vielseitig, voller Leidenschaft, der Schlussapplaus jubelnd und herzlich…

©Michaela Schabel

Lässig hereinspaziert und von einer Sekunde zur anderen geballte Energetik begeistert Sir Simon Rattle mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Paul Hindemiths parodistischer „Rag Time (wohltemperiert)“ (1921) entwickelt eine faszinierende Rhythmik, indem der Komponist die c-Moll-Fuge des ersten Bandes von Bachs „Wohltemperierten Klavier“ mit dem Ragtime-Rhythmus fusioniert. Er wählte damit eine Vorlage mit vielen Unregelmäßigkeiten, die er durch die Instrumentation und die Auflösung der kontrapunktorischen Struktur so pointiert, als wären die Einsätze des Fugenthemas falsch. Unter dem Dirigat von Sir Simon Rattle gelang dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ein ausgesprochen schwungvoller Konzertauftakt mit elektrifizierender Dynamik und irisierenden Klangspielen. 

Durch die orchestrale Energie kam Bariton Lester Lynch trotz seines glänzenden Legatos im Anschluss bei Alexander von Zemlinskys „Symphonischen Gesängen op 20″ (1929) nicht optimal zur Wirkung, zumal  man wegen fehlender Textdeutlichkeit auf das Mitlesen im Programmheft angewiesen war. Sieben Lieder vertonte der Komponist in der Gedichtanthologie „Afrika singt“ (1929), zusammengestellt von der österreichischen Frauenrechtlerin Anna Nussbaum. Es sind düstere Lieder vom Baumwollpacker, dem toten braunen Mädchen oder dem üblen Burschen, in denen sich das tragische Schicksal der Afrikaner im „Dixieland“ spiegelt, Lieder, deren Emotionen im Blues, Soul und in Spirituals zu finden sind, auf deren Anspielung Zemlinsky allerdings bewusst verzichtet, wodurch diese Komposition auch bei leidenschaftlicher Interpretation sehr kühl wirkt. 

Den Höhepunkt des Abends bildete Gustav Mahlers vierteilige „Sinfonie Nr. 6 a-Moll“ (1903/04). Sie entwickelt gleich zu Beginn durch einen a-Moll-Dreiklang und A-Dur-Klang kombiniert mit einem überaus markanten Rhythmus das „Schicksalsmotiv“, ein marschartiges apokalyptisches Vorwärtsdrängen, das bis auf das „Andante“ alle Sätze durchzieht, unterbrochen von poetischen Inseln, die durch Harfenklang und rhythmisch freie Kuhglocken Naturidylle assoziieren lassen. Doch die apokalyptische Dynamik fegt über alles hinweg, steuert direkt auf die Katastrophe zu, die final zwei wuchtige Hammerschläge markieren. Sir Simon Rattle macht alle Klangfacetten transparent, lässt die SolistInnen und Instrumentalgruppen in faszinierender Präzision aufleuchten, treibt das Tempo horrend voran und lotet dabei die maximalen Extreme der Dynamik aus.

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©Michaela Schabel

Tosender Applaus und Jubel wie beim Fußball ist der Dank des Publikums für diese temperamentvolle Interpretation.