©Michaela Schabel
Immer wieder gelingt es Intendantin Joana Mallwitz überaus interessante Orchesterprogramme nicht nur zu präsentieren, sondern durch…
ihre persönliche, begeisterte Einführung in die Werke am Klavier das Publikum zu begeistern. Was haben die KomponistInnen Gubaidulina (*1931), Schostakowitsch (1906 – 1975) und Tschaikowsky (1850 -1893) gemeinsam? Alle drei hatten mit dem repressiven System der Sowjetunion ihre Probleme, woraus sich extreme Polaritäten zwischen persönlichen Sehnsüchten und den sozialpolitischen Unterdrückungsmechanismen ergaben.
Als Sofia Gubaidulina ihr Kompositionsstudium in Moskau beendete, wurde ihr von der Jury mitgeteilt, dass sie sich auf einem „kompositorischen Irrweg“ befände, ihre Klangsprache nicht dem angestrebten Ideal Russlands entspräche. Nur Schostakowitsch machte ihr Mut. Und ihre nur 12 Minuten lange Märchenoper für Orchester „Die kleine Kreide“ beweist Gubaidulinas empathisches Gefühl für Tonmalerei. Atonale, krächzende, schrille Töne, harte Klavierakkorde, schroffe Celli, zischende Becken machen das Leiden der Kreide im Dienste der Tafel hörbar. Über Zahlen und geometrische Formeln kleingeschrieben landet die Kreide im Müll, wo sie ein kleiner Junge herausholt und auf das Straßenpflaster Blumen malt. Auf einen Schlag verwandelt sich die Szenerie in eine flirrend impressionistische Klangmalerei mit rasanten Trillern als euphorisches Glücksempfinden kreativen Schaffens. Das ist Balsam für die Ohren.
Mit Dimitri Schostakowitschs „Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 in Es-Dur op.107“ steigert Mallwitz die Konzertdramaturige. Zackig, mitreißend zieht das Konzertorchester in seinen Bann. Das Cello mit Gaststar Sheku Kanneh-Mason martialisch in Wiederholungsschleifen voraus, die Spannung kraftvoll modellierend, das Marschmotiv im solistischen Dialog mit Klarinette und Horn, untermauert vom temperamentvollen Orchesterklang.
Volkstümliche Melodien leuchten als fröhliche Erinnerungsmomente auf, werden aber immer wieder schnell von düsterer Bedrohlichkeit überschattet. Die Celesta setzt gläserne Akzente.
Joana Mallwitz’ Dirigat, genesungsbedingt, von einem erhöhten Sitz in weiter Vorlage, wirkt dadurch noch körperbetonter, mit weiten Armen, stechender Gestik und blitzenden Augen lebt sie die Partitur temperamentvoll, empathisch und gleichzeitig überaus präzise und klar vor, ein energetischer Vulkan, der sich auf die MusikerInnen, auch auf Sheku Kanneh-Mason überträgt und in seinem Solo die Sehnsuchtsmotive auf seinem Matteo-Goffriller-Cello aus dem Jahre 1700, eine Leihgabe auf Lebenszeit sehr berührend zum Ausdruck bringt und dafür frenetischen Applaus erntet, worauf er sehr sympathisch und bescheiden mit einem schlichten Song als Zugabe reagiert.
Mit Pjotr Tschaikowskys „Sinfonie Nr. 4 f-Moll op 36“ gelingt Mallwitz mit noch größerem Orchester nochmals eine dynamische und klangliche Intensivierung. In der Partitur verarbeitet Tschaikowsky die Repressalien, die er wegen seiner Homosexualität erleiden musste. Schon in den ersten Takten wird „eine Schicksalsenergie“ hörbar, schreibt er, „ein Fatum“, das ständig kontrolliert und dem Glück keine Chance gibt. Fanfarische Bläser geben von Anfang an immer wieder den Ton an. Dazwischen leuchten über volkstümliche Melodien, vor allem über zwei übereinander gelegte Walzer fröhliche Erinnerungen auf. Klangschön weitet Mallwitz die Dynamik, wunderbar gibt sie den Solisten Raum. Vor allem Fagott, Klarinette, Querflöte intonieren Sehnsüchte und atmosphärische Glücksmomente sehr ausdrucksstark, Pauken und Bläser machen das bedrohliche Chaos im Untergrund hörbar. Das furiose Finale beflügelt den Applaus, den Mallwitz mitten im Orchester sofort an die MusikerInnen weitergibt. Ein in jeder Beziehung beeindruckender Konzertabend.