©Michaela Schabel
Was haben die Komponisten Brett Dean (*1961), Arnold Schönberg (1874-1951) und Gustav Holst (1874-1934) miteinander zu tun? In einem sehr klug zusammengestellten Konzert der Berliner Philharmoniker werden…
die Gemeinsamkeiten deutlich. Holst war bei der Uraufführung Schönbergs „Fünf Orchesterstücken“ so begeistert, dass er beschloss sieben ebenso überwältigende Kompositionen zu schreiben, „Die Planeten“.
Als Sir Simon Rattle 2006 den Auftrag bekam dieses Werk zum dritten Mal einzuspielen, erweiterte er das Doppelalbum um den damals noch nicht entdeckten „Pluto – der Planet“, eine Komposition von Colin Matthews (*1946) und gab gleichzeitig ein Quartett aus Asteroiden in Auftrag, komponiert u.a. von Brett Dean. Dieses ausgezeichnete Programm ist derzeit in der Berliner Philharmonie unter dem Dirigat Daniel Harding live zu hören.
Sein Stück „Komarov’s Fall“ macht den russischen Griff nach den Sternen in der Zeit des „Kalten Krieges“ fern von Heroismus als apokalyptisches Versagen zwischen höchster nervlicher Anspannung und kosmischer Schönheit erlebbar. Um wegen technischer Unsicherheiten den russischen Starkosmonauten Gargarin zu schonen, übernahm Komarov 1967 den Flug ins All und kam während des Rückflugs beim Eintritt in die Erdatmosphäre wegen Versagens des Fallschirms ums Leben. In etwa sieben Minuten entwickeln die Berliner Philharmoniker die Schreckensmomente dieser Odyssee. Nur noch subtilste Tonsignale sind im Konzertsaal zu hören, die Anspannung steigt. Die Streicher lassen Nerven flirren und klirren. Zerrissene Sechszehntel-Rhythmen signalisieren Alarmstimmung. Kaum macht eine Violinmelodie schwereloses Schweben in kosmischer Schönheit hörbar, bricht dissonantes Inferno der Streicher, Bläser, Pauken, dann im berstenden Tutti aus. Töne zerschellen, verlieren sich in der Weite des Kosmos.
Überaus spannend, einfach großartig von den Berliner Philharmonikern unter dem Dirigat von Daniel Harding gespielt, bekommt das Publikum auch die folgenden beiden Kompositionen in furioser Klangdichte zu hören.
Schönbergs „Fünf Orchesterstücke“, 1909 sein erstes und einziges Orchesterwerk in freier Atonalität ist keine abstrakte, sondern extrem expressiv atmosphärische Musik mit raffinierten Klangfarbverschiebungen, die in fulminanter Dynamik zwischen lyrischer Romantik und apokalyptischen Dissonanzen oszillieren und spannende atmosphärische Klangteppiche aufbauen. Dabei offerieren Schönbergs unveröffentlichte Arbeitstitel die narrativen Strukturen und die musikalischen Schwerpunkte. Dialogisierende und kommentierende Instrumentallinien, krachende Momente, abrupte Pausen stimmen als „Vorgefühle“ ein. An die „Vergangenes“ docken die klaren Klangfarben von Celli und Fagotten kontrastiert mit Querflöten und Oboen an. Durch rhythmisierte Tonketten wird romantische Sehnsucht erlebbar. Die „Farben“ der Töne rücken über das Wechselspiel von Harfe und Celesta in balsamischer Reinheit ins Bewusstsein. Die „Peripherie“ durchkreuzt melancholische Abgründigkeit, die zum Klangchaos kulminiert und im finalen „obligativen Rezitativ“ alle Grenzen und Formen der Tonalität auslotet.
Doch es gibt in diesem Konzert noch eine Steigerung. Begeistert von Schönberg und Ravel umgeben vom Gemetzel des Ersten Weltkriegs verlagert Holst über die Motivik der „Planeten“ (1914-1916) brutal dissonante Klangfarben, extreme Fortissimo-Dynamik und gnadenlose Marsch-Rhythmik in kosmische Dimensionen, eine Steilvorlage für spätere Science-Fiction-Filme. Schon im „Mars“, dem ersten Stück, leuchtet der heldische Imperialismus von „Star Wars“ auf, der Kampf der Giganten bis zum letzten Mann, zum allerletzten Aufbäumen bis zur vollkommenen Tabula rasa. Harding dirigiert brachial mit geballten Fäusten, angespannter Armmuskulatur und die Berliner Symphoniker lassen sich bis zum vollem Körpereinsatz mitreißen. Als Kontrast ist „Venus“ durch und durch von poetischer Harmonie durchpulst, wobei Violine, Oboe, und Cello, Celesta und Harfe solistisch glänzen, umflammt vom leidenschaftlich orchestralen Temperament. „Merkur,“ der Götterbote, flirrt leichtfüßig und fröhlich wie Frühlingserwachen. „Jupiter“ wirkt durch würdevoll hymnisch strömende Melodien heroischer, durch markante Synkopen tänzerischer, so dass man den Part, der sich schon 1921 als „I Vow to Thee, My Country“ in Großbritannien als beliebtes Lied bei Beerdigungen verselbstständigte, deutlich heraushört. Mit der Entfernung verlangsamt sich als Symbol für das Alter das Tempo im „Saturn“. Es leuchtet harmonische Schönheit auf, wie man sie erlebt hat oder noch spirituell erleben kann. Selbst als der Tod in markanten Rhythmen nähert und sich im brachialen Fortissimo aufbäumt, verdrängt ihn engelhaft sphärische Klanglichkeit. Dann mischt „Uranus“ noch einmal magisch auf. Final überrascht „Neptun“. Die sphärische Distanz drückt Holst durch einen wortlosen Vokalisten-Frauenchor aus, der hinter der Bühne pianissimo singend sich immer weiter bis ins Unhörbare entfernt, von den Damen des Rundfunkchors Berlin unter der Leitung von Martina Batič sehr stimmig einstudiert.
©Michaela Schabel
Harding lässt die Stille wirken. Umso mehr tost dann der Applaus. Ein grandioser Konzertabend!