Mit vielen Anspielungen und neuen Querperspektiven befasst sich Drehbuchautor und Erfolgsregisseur Florian Henckel von Donnersmarck nach seinem Debütfilm „Das Leben der anderen“ und „Der Tourist“ in seinem dritten Film „Werk ohne Autor“ mit Rolle der Kunst in den letzten drei Epochen der deutschen Zeitgeschichte.
Aus zwei konträren ineinander verflochtenen Lebensläufe inklusive Liebesgeschichte entwickelt er deutsche Zeit-und Kunstgeschichte. Erzählt wird aus der Perspektive Kurts (Tom Schilling), inspiriert von einer Biografie Gerhard Richters. Obwohl Florian Henckel von Donnersmarck sein Werk als eigenständig fiktives Werk bezeichnet, sind die Parallelen überdeutlich. Das ist die Crux des Filmes. Er zeichnet in altkonservativer Hollywoodmanier aus subjektiver Sicht eines Künstlers Kunstgeschichte im großen Bogen, die biografisch im Detail nicht stimmt und moderne Kunst zuweilen zu lapidar ironisiert.
©Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Gleichzeitig, und das ist das Verdienst des Films, vermittelt sich über Kurts Biografie die deutsche Kunstgeschichte seit dem Zweiten Weltkrieg zumindest in groben Zügen.
Verblüffend ähneln sich die Parolen des Nationalsozialismus und Sozialistischen Realismus „Kunst zum Wohle des Volkes“. Mit subtilen Humor werden politische Restriktionen und kunsttheoretische Positionen, Möchte-Gern-Künstler und Kunstmarketing ironisiert, gleichzeitig durch kleine Gesten die Attitüden berühmter Künstler zum Aha-Erlebnis. Die großen Parolen der abstrakten Kunst, Ueckers Credo der „wahren Idee“, Beuys Bekenntnis zur Subjektivität der Kunst, jeder sei ein Künstler und nur dieser wisse, ob sein Werk gelungen ist, werden szenisch greifbar und nachvollziehbar. Über Kurt fügt Florian Henckel von Donnersmarck seine Idee zur Kunst hinzu. Sechs Zahlen einfach dahin gesprochen bedeuten nichts. Als sechs Lottozahlen bekommen die Zahlen plötzlich Sinn. Der Kontext macht den Sinn.
Der Film beweist „Kunst macht frei“. In der Freiheit der Künstler spiegelt sich die politische Freiheit des Volkes.
In großartigen Bildern gestaltet die Kamera (Caleb Deschanel) kunstvoll die leitmotivischen Wendepunkte im Leben Kurts. Er sieht nicht weg, wie es ihm seine Tante Elisabeth beigebracht hat. Schon als kleiner Junge zieht er die vorgehaltene Hand weg. Sein Blick zielt auf die Wahrheit, die kurz verschwimmt, um sich umso klarer im Gedächtnis als moralische Maxime, später als künstlerische Leitlinie im Unbewussten fungiert. Hoch oben im rauschenden Baumwipfel über wogenden Weizenfeldern kapiert Kurt die Weltenformel, die ihm seine Tante Elisabeth, faszinierend von Saskia Rosendahl gespielt, von der Schönheit der Welt über die Kunst und den Klang beizubringen versuchte.
Eine andere Szene erinnert an große Literatur. Wie Romeo über den Balkon, springt Kurt nackt in die Baumkrone, als die Eltern von Kurts Freundin überraschend zurückkehren, und landet splitternackt vor der Mutter.
Leitmotivisch wiederholen sich Szenen. Gedemütigt, durch die Kamera von oben zusätzlich hierarchisiert, putzen Vater, später Sohn Kurt die Treppe. Der Vater erhängt sich. Kurt besiegt die Demütigungen des Lebens. Die Kunst macht ihn frei. Über die Bilder in seinem Gedächtnis findet er seine Wahrheit.
Das ist insgesamt zwar eine Heile-Welt-Geschichte, in der das Gute siegt und das Happyend mit Nachwuchs schon etwas dick aufgetragen ist, aber letztendlich eine wunderbare Reverenz vor der Kunst und ein Stück Lebensbewältigungsstrategie. Wenn Kurt die Fahrer am Busbahnhof wie einst seine Tante Elisabeth bittet gemeinsam zu hupen, wird aus Alltagslärm eine wunderbare Metapher für Glück durch Lebenskunst und eine Hommage an die gelebten Bilder jedes einzelnen Menschen, die zum beglückenden Kunstwerk werden können.
In den Hauptrollen Tom Schilling (Kurt) Cai Kors (Kurt als Kind), Paula Beer (Kurts Freundin Ellie), Saskia Rosendahl (Kurts Tante), Sebastian Koch (Kurts Schwiegervater)
Michaela Schabel