"Kultur macht glücklich"


Christina Tournatzés’ „Karla“ – ein Film über die Unantastbarkeit der Würde eines Kindes 

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Christina Tournatzés’ „Karla“ – ein Film über die Unantastbarkeit der Würde eines Kindes 

© Eksystent Filmverleih 

Karla läuft von zu Hause weg, sucht Hilfe bei einem Richter. Erst 12 Jahre alt klagt sie…

ihren Vater wegen § 176 StGB an. Nach einer wahren Begebenheit aus den 1960er-Jahren erzählt Christina Tonaortzés die Geschichte eines Mädchens, das den Mut findet, für sich selbst einzustehen, nicht nur den Richter überzeugen kann, sondern auch anderen Betroffenen eine Stimme gibt. Karla sagt wenig, aber was sie sagt, überzeugt, selbst den Richter, der diesen Fall wegen Karlas Verschwiegenheit als aussichtslos erklärt.

Ungewöhnlich subtil und emphatisch schildern Drehbuchautorin Yvonne Görlach und Regisseurin Christina Tournatzés die psychischen Prozesse, die Karla in den Gesprächen mit dem erfahrenen Richter Lamy erneut erlebt. 

Das Ambiente entspricht den Sechzigerjahren. Die dunkelbraun eingerichteten Büroräume des Richters wirken beengend, das Kloster, in dem Karla untergebracht wird, karg, grau in grau. Die Gesellschaft ist zweigeteilt. Die einen haben etwas zu sagen, rauchen, trinken und hören französische Chansons. Karla und ihre Zimmergenossin Ada, die wegen Prostitution verhaftet wurde, waschen Wäsche und schrubben Böden. Trotz der extrem unterschiedlichen Problemlagen verbinden sie dieselben Verletzungen durch Männer, wodurch sie sich sehr gut verstehen und gegenseitig empathisch unterstützen. Ada formuliert ihr Verhältnis zu Männern prägnant. Sie will nur noch gestreichelt werden und es soll aufhören, wenn sie nicht mehr will. 

Drehbuch, Regie und Kamera fokussieren auf die Gespräche und Gesichter, die sich im Laufe der Gespräche verändern. Karla ist ein verschlossenes, sehr höfliches, belesenes, überaus kluges und starkes Mädchen. Sie gibt trotz der zunächst abweisenden Haltung des Richters nicht auf, weiß geschickt zu argumentieren. Der anfangs sehr schroffe Richter beginnt sie zu verstehen und wird zu ihrem leidenschaftlichen Verfechter. Er schenkt Karla eine Stimmgabel als Symbol für das Unaussprechliche, das sie erleiden musste und formuliert bei jedem anklingenden Ton, was sie nicht sagen kann, was sie immer wieder in Angst und Schrecken davonlaufen lässt. Die quälende Vergangenheit offenbart sich ohne sexuelle Handlungen, viel schlimmer und intensiver über die wiederholte Nötigung zum Selbstmord in sommerlich strahlendem Umfeld, über das Ignorieren ihres Leids durch die Mutter und die Panikattacken Karlas.

Weit weg von üblichen Gerichtsfilmen, gelingt Torunatzẽs durch die künstlerische Umsetzung mittels irritierend poetisch collagierter Sequenzen eine ungewöhnlich symbolische und berührende Darstellung des Leids. Das Brummen einer Fressfliege wird zum Symbol des Vaters. Das lebensgefährliche Untertauchen im Wasser eröffnet eine neue Freiheit. Karla selbst vergleicht ihren Zustand mit der Fantasy-Protagonistin „Narnia“, die einfach in eine andere Welt geht, wenn etwas passiert. „Das Mädchen, dem das passiert ist, bin nicht ich“, erklärt Karla. Gleichzeitig offenbaren lichtdurchflutete Mohnwiesen Karlas anvisierte harmonische Welten.

Die Ernsthaftigkeit, mit der Elise Krieps diese schwierige Rolle, spielt, berührt und gibt dem Film nicht zuletzt den sichtbaren inneren Wandel des Richters (Rainer Bock) eine glaubwürdige Authentizität. Die Sekretärin (Imogen Kogge) bringt die Beziehung der beiden durch ein Zitat von Mascha Kaléko auf den Punkt „Es braucht nur einen Menschen, den aber sehr.“ 

„Karla“ wurde für Drehbuch und Regie zweifach mit Förderpreis „Neues Deutsches Kino“ ausgezeichnet.

Ab 1. Oktober ist „Karla“ in den deutschen Kinos zu sehen. 

Künstlerisches Team: Yvonne Görlach (Drehbuch), Christina Tournatzes (Regie), Florian Emmerich (Chef-Kameramann), Isabel Meier (Chef-Cutterin) 

Mit: Elise Krieps (Karla), Rainer Bock (Richter Lamy), Carlotta von Falkenhayn (Ada), Imogen Kogge (Sekretärin), Torben Liebrecht (Vater)