© Stephanie Kulbach/2019 Sommerhaus/eone Germany
Regisseur Burhan Qurbani propagiert seinen dritten Film „Berlin Alexanderplatz“ als Aufruf zum Antirassismus und entdeckt im Roman von einst die Wucht der Gegenwart. Vom einstigen turbulenten Großstadtcharme rund um den Berliner Alexanderplatz ist nichts mehr übrig. Einsam strahlt der Alex über betoniertes Ödland. Im Club der „Neuen Welt“ lassen Gangster die Korken knallen, die Miezen tanzen. Noch sind die Bosse weiß, noch klingen die kolonialen Machtverhältnisse nach, messerscharf parodiert bei einem Kostümfest mit Franz als Gorilla und Reinhold im Kolonialoutfit.
Francis, Flüchtling aus Guinea-Bissau, wird zum Pendant zu Döblins Kleinkriminellem Franz Biberkopf der Weimarer Zeit. Aus dem afrikanischen Francis wird ein deutscher Franz. „Ich bin ein Deutscher,“, erklärt dieser auf dem Höhepunkt seiner kriminellen Karriere. Er hat einen deutschen Namen, ein deutsches Auto, eine deutsche Frau. „Ich bin hier, schwarz und stark.“ Doch er stolpert wieder über die Fallen des Bösen, die ihm sein Umfeld legt und die er selbst in sich trägt.
Die schmeichelnde Stimme einer Erzählerin, Francis´ Freundin Mieze, wie sich später herausstellt, nimmt das Ende dieser Parabel in fünf Kapiteln vorweg, verankert den Thriller durch Döblins metaphorische Kernstellen im Ringen mit Gott, dem Glauben an das Gute und das naive Hineinschlittern in das Böse von Anfang an auf einer literarischen Metaebene. Wie im Märchen hat Franz drei Chancen. Sie in der Realität zu nutzen, funktioniert nicht. Doch Franz ist nicht unterzukriegen. Er steht immer wieder auf.
Unter der Regie von Burhan Qurbani wird jedes Detail zum leitmotivischen Symbol, in dem Francis´ Vergangenheit immer wieder aufleuchtet. Der rote Faden ist das Trauma des Ertrinkens, das christliche Kreuz als Zeichen des Lichts, die Frau als Urquell der Liebe. Dazu kommen die Zeichen des Bösen, ein mächtiger Stier als Ausdruck eines brünftigen Machismo , die heimtückische Umarmung, um das Ohr schmerzhaft verdrehen, als Zeichen der Macht und der gnadenlosen Abhängigkeit, die schweißtreibende Anstrengung um den Orgasmus als Ersatz für fehlende Liebe.
In Reinhold scheint Franz einen Freund zu finden, doch der ist durch und durch Döblins Beezlebub.
©Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eone Germany
Er macht aus Franz einen Drogendealer, Einbrecher, Krüppel und erwürgt wie im Roman Franzens Mieze. Von Albrecht Schuch honigsüß und in verquerer Haltung exzellent mephistophelisch gespielt wird Reinhold zur Inkarnation pathologischer Bos- und Geilheit, die das Leben nicht befriedigen kann, sondern nach immer mehr lechzt. Menschen degradieren zu Werkzeug. Man wirft es allerdings erst weg, wenn man es nicht mehr braucht.
Der brasilianische Schauspieler Welket Bungué spielt Francis mit der exotisch geheimnisvollen Ausstrahlung eines Afrikaners.
©Wolfgang Ennenbach/2019 Sommerhaus/eone Germany
Seine Schönheit und Kraft öffnen ihm Türen, seine Naivität und sein unkontrolliertes Temperament stürzen ihn immer wieder in die Abgründe kapitalistischer Ausbeutung beim U-Bahnbau Unter den Linden, in der Drogenszene der Hasenheide, den nächtlichen Einbrüchen in Juwelierläden. Statt besser zu werden, auf Eva, metaphorisch ausgelegte Clubbesitzerin der „Neuen Welt“ zu hören, lässt sich Franz immer wieder vom Bösen verführen, als wäre Reinhold sein Alter Ego.
Erst als Franz das 1000 €- Escort-Girl Kitty, alias Mieze kennenlernt, mit Jella Haase eine überaus vife Berliner Frohnatur, findet er, was er sucht. „Seele“ und „Liebe“. Doch Reinhold zerstört, was Francis aufbaut.
Nichtsdestoweniger gibt der Epilog Hoffnung. Die hochschwangere Mieze wurde erwürgt, ihr Baby hat überlebt und wird Symbol interkultureller Mischung und Wegweiser in die Zukunft einer „Neuen Welt“, in der Franz als Businessman im eleganten Anzug assozierbar wird.