"Kultur macht glücklich"


Beatrice Mingers ästhetisierender Dokumentarfilm „E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“ 

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Beatrice Mingers ästhetisierender Dokumentarfilm „E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“ 

©Rise and Shine Cinema

In Eileen Grays Jugend gab es keine Architektinnen. Die Männer gestalteten die Welt nach ihren Bedürfnissen. In Irland 1878 geboren, eine der ersten Kunststudentinnen, in Paris lebend, kreierte sie zunächst moderne Möbel. Die Freundschaft mit dem rumänischen Architekten Jean Badovici inspirierte sie ein Haus für die Frau zu bauen. Monatelang suchten beide nach dem dem perfekten Ort. Sie fanden ihn an der unzugänglichen Steilküste an der französischen Riviera von Roquebrune-Cap-Martin. „Das Haus am Meer“ (1929) wurde inklusive seiner Einrichtung ein Meisterwerk avantgardistischer, minimalistisch funktionaler Bauweise, schlicht, geradlinig und trotzdem voller Atmosphäre im Detail durch stilprägende Möbel und raffinierte Licht-Schatten-Effekte…

Mit dem Haus am Meer fand Eileen Gray etwas, von dem sie wusste, dass es ihr fehlte. Es wurde ihr Rückzugsort, bot ihr Schutz und in jeder Blickachse eine vollkommene Ästhetik, der die Kamera immer wieder folgt, während eine Erzählstimme aus dem Off Eileen Grays Gedanken einblendet. Sie hatte viele Verehrer, war aber in die Sängerin Darmia verliebt, mit der sie ungesehen bleiben wollte, um gesellschaftlichen Diskriminierungen aus dem Weg zu gehen. 

Raffiniert fusioniert Beatrice Mingers in ihrem Film „E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“, ein verschlüsseltes Monogramm für Eileen Gray und Jean Badovici, zwei überaus subtile Dokumentationen, die Geschichte dieser avantgardistischen Villa am Meer und gleichzeitig Eileen Grays Lebensweg (*1878 Wexford , †1976 Paris). Das Haus wird gleichsam Metapher für Grays Vita. Die Parallelen verblüffen. Beide wurden erst im Alter berühmt.

Die filmische Umwandlung verzaubert, vermittelt in ruhigen Einstellungen das besondere Lebensgefühl in diesem Haus, das Gray Badovici überließ. „Ihr Haus wurde der Beruf, in dem sie ihre Lebenserfüllung fand.“ 

Immer mit weißer Bluse und schwarzem Hosenanzug wirkt Gray sehr elegant und selbstbestimmt. Sie kreiert, was nicht zusammenpasst, designt Möbel aus Stahlrohren und Plexiglas und entwickelt einen zeitlos modernen Stil, der allerdings erst am Ende des 20. Jahrhunderts in die Breite wirkte. 

Die Kamera folgt Gray im Vorspann die Klippen ins Wasser hechtend, schwimmend, tauchend, die Abendsonne genießend. Aus einer Vision wird Realität. Immer wieder werden ähnliche Szenen eingeblendet mit Badovici und dessen Architektenkollegen Le Corbusier, der im Haus am Meer seine Leidenschaft für Malerei reanimierte, indem er die weißen Wände mit zwölf raumgroßen Bildern bemalte, was Gray aus einem Magazin erfuhr und einen Eklat auslöste, zumal Le Corbusier noch La Cabanon, sein Ferienhaus aus Holz in unmittelbarer Nähe baute. Er weigerte sich die Bilder weiß übermalen zu lassen, nutzte vielmehr den Hype um seine Person, dem man auch die Architektur des Hauses zuschrieb. Eileen Gray empfand die bunten Bilder als Vergewaltigung, als eine Form des Vandalismus. Der dezente Charme, die wohldosierte Ästhetik der Innenräume, die mentale Ruhe, die Seele des Hauses verschwanden, allein die Lage und Aussicht blieben in ihrer wohltuenden Leichtigkeit unangetastet.

Als Badovici ohne ein Testament zu hinterlassen verstarb, erbte seine jüngere Schwester das Haus. Es verwahrloste, wurde für ein Butterbrot an einem partysüchtigen Arzt versteigert und verfiel noch mehr. 1999 kam mit dem Kauf durch das Conservatoire du littoral die Wende und das Haus verwandelte sich nach aufwändiger Restauration in ein touristisches Ausflugsziel für Architektur- und Designbegeisterte. Man bekommt Lust dorthin zu reisen.

Eileen Gray zählt heute zu den wichtigsten Architektinnen und Designerinnen des frühen 20. Jahrhunderts, Ihr berühmter Beistelltisch E.1017 wird als unveränderter Design-Klassiker immer noch nachgebaut und plagiiert. 

Künstlerisches Team: Beatrice Minger (Drehbuch, Regie), Christoph Schaub (Drehbuch, Ko-Regie), Ramon Giger (Chef-Kameramann), Gion Reto Killias (Chef-Cutter)

Mit Natalie Radmall-Quirke, Axel Moustache, Vera Flück, Charles Morillion

„Eileen Gray und das Haus am Meer“ ist ab 24. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen.