© Droemer-Verlag
In einer Zeit, in der 75% der Tageszeit online verbracht wird und Multitasking eine Selbstverständlichkeit geworden ist, wird der Umgang mit Aufmerksamkeit im Kampf gegen Nervosität, Konzentrationsstörungen bis hin zur Depressivität immer bedeutsamer. Statt pharmazeutischer Unterstützung mittels Neuro-Enhancer braucht das Gehirn eine natürliche Anleitung. Zwischen Außenreizen und selbstbestimmter Steuerung der Aufmerksamkeit liegt genau der Raum, den wir nutzen müssen, um konzentrierter durch das Leben zu gehen.
Wie das durch mehr Aufmerksamkeit geht, veranschaulicht Volker Busch durch treffsichere Beispiele. Taschendiebe sind erfolgreich, indem sie die Aufmerksamkeit des Opfers auf etwas anderes lenken. Heute rauben uns die großen IT-Plattformen die Aufmerksamkeit, denn wer die Aufmerksamkeit steuert, hat die kulturelle und wirtschaftliche Macht.
Komplizierte Sachverhalte, immer schneller sich realisierende Neuerungswellen, Reizüberflutung, vor allem durch medialen Dauerkonsum, Müdigkeit und Alltagsdrogen schränken die Aufmerksamkeit ständig ein. Wir vergessen Dinge nicht, weil wir ein schlechtes Gedächtnis haben, sondern weil wir sie im Arbeitsspeicher unseres Gehirns nicht bewusst ablegen, permanent für jeden präsent sein wollen und dabei den Arbeitsspeicher unseres Gedächtnisses, vergleichbar einer Festplatte, durch viel zu viele neue Eindrücke voll machen. Das Gehirn überschreibt Inhalte. Man fotografiert und filmt, überfliegt, statt die Ereignisse bewusst zu erleben und geistig zu verankern. Je stärker die digitale Ablenkung desto geringer das Bewusstsein. Man sieht und hört manche Dinge nicht mehr, was nichts anderes ist als eine Aufmerksamkeitsblindheit oder -taubheit. Letztendlich ist auch ADHS ein soziologisches Phänomen als Folge immer größerer Informationsüberreizungen durch die Medien.
Da hilft nur die Kunst der Selektion. Das Gedächtnis kann man durch intensive Betrachtungen, Wiederholungen, Auswahl der Information und partiellen Verzicht auf digitale Medien trainieren. Dieses Training muss schon von Klein auf geübt werden, was Volker Busch in einem Schlussexkurs ganz besonders herausstellt.
Multitasking, bedingt durch die digitale Lebensweise, lehnt Volker Busch entschieden ab. Die Fehlerquote ist letztendlich viel zu hoch, vor allem wird dadurch das Verhalten durch Ungeduld Nervosität, Überreizung und aggressives Handeln negativ geprägt. Wesentlich effektiver und einprägsamer ist es Dinge nacheinander zu erledigen. Man kann nur eine Sache durchdacht machen. Dabei ist die Aufmerksamkeit wie ein Scheinwerfer auf diese Sache zu richten und ihr damit Bedeutsamkeit zu geben. Kurze Pausen helfen die Konzentration zu regenerieren. Appellative Reize wie Handys müssen genauso wie Süßigkeiten bei dem Wunsch abzunehmen, außer Reichweite sein, um diese neuen Strategien durchhalten zu können.
Ganz wichtig sind täglich längere Entspannungspausen. Volker Busch spricht von „tiefen Stunden“, in denen man den Geist ohne Ziel- und Nutzendenken baumeln lässt. Nicht umsonst kommen gerade beim Spazierengehen und Nichtstun die besten Gedanken. Mediale Berieselung dagegen verhindert Kreativität. Tage ohne Medienkonsum führen zu neuer Kreativität.
In seinem Schlusswort appelliert Volker Busch an das Bewusstsein des Einzelnen, mit einem Zitat von Yuval Noah Harari „Früher bedeutete es, Macht zu haben, wenn man Zugang zu Daten hatte. Heute bedeutet es, zu wissen, was man ignorieren kann.“ Das ist sicher ein Wunschdenken, das auf breiter Ebene nicht realisiert werden kann. Dazu sind die Manipulationsstrategien der mächtigen Datenkonzerne schon viel zu lebensbestimmend.
©Droemer-Verlag, Petra Homeier
Volker Busch: „Kopf frei! Wie Sie Klarheit, Konzentration und Kreativität gewinnen“, droemer Verlag, München 2021, 286 S.