"Kultur macht glücklich"


Manfred Spitzer „Künstliche Intelligenz – Dem Menschen überlegen – wie KI uns rettet und bedroht“

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Manfred Spitzer „Künstliche Intelligenz – Dem Menschen überlegen – wie KI uns rettet und bedroht“

©Droemer-Knaur Verlage, 2023

Manfred Spitzer erkannte schon vor 30 Jahren die desaströse Wirkung von ständiger medialer Berieselung auf das kindliche Gehirn. Mit seiner Forderung, Bildschirme jeglicher Art aus Kinderzimmern zu verbannen, manövrierte er sich selbst in eine Kassandra-Rolle. Seine Prophezeiungen wurden nicht gehört. Digitales Suchtverhalten ist inzwischen normal. Auch bei der KI tritt er kritisch auf, nicht der Technik wegen. „Es sind Menschen, die KI produzieren und anwenden. Wir brauchen daher mehr Kontrolle, denn ein Missbrauch von künstlicher Intelligenz könnte katastrophale Konsequenzen für die Menschheit haben.“

Spitzer holt weit aus, beginnt im 17. Jahrhundert bei dem Universalgelehrten und Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716), der das binäre Zahlensystem entwickelte, und skizziert den Weg über die Erfindung der PCs durch Konrad Ernst Otto Zuse (1910–1995) bis zu ChatGPT. Erst etwas nach einem Drittel wird sein Buch interessant durch Demis Hassabis‘ lockere Bemerkung bei der hochkarätigen Jahrestagung der Society of Neuroscience 2017 in Washington.

Hassabis’ Bemerkung brannte sich in Spitzers Gedächtnis ein: „Erst lösen wir das Problem und verstehen, was Intelligenz ist, und dann lösen wir damit ganz einfach alle anderen Probleme.“ Der britische KI-Forscher Demis Hassabis ist Neurowissenschaftler, Computer- und Softwareentwickler und Schachspieler, der seine Firma DeepMind 2014 an Google verkaufte und sie immer noch leitet. Ausgehend vom menschlichen Gehirn, das sich durch seine Synapsen unterschiedlichen Situationen immer wieder anpassen kann, positioniert ChatGPT Algorithmen in immer neuen Mustern. Je mehr Muster man eingibt, desto qualitativ hochwertiger sind die Ergebnisse, wodurch ChatGPT zum lernenden System avanciert. Es tut dies ohne Verstehen und Bewusstsein. Allein durch die maschinelle Verarbeitung von riesigen Datenmengen macht es auf bestimmte Muster und Zusammenhänge aufmerksam, die Experten auswerten. Die Beschleunigung, mit der Wissen heute mittels KI generierbar ist, war vor zehn Jahren noch undenkbar und revolutioniert unser Leben. Inzwischen beruht ChatGPT auf 175 Milliarden Synapsen, wodurch es unmenschlich lange Lernprozesse bewältigt, die den Experten immer schnellere und genauere Auswertungen ermöglichen. Fehler passieren nur dann, wenn Daten falsch eingespeist werden.

Wie alltäglich KI bereits ist, zeigt Spitzer anhand der Wettervorhersage, Verbrechensbekämpfung, der medizinischen Diagnostik, in der Archäologie und Filmindustrie. Selbst bei Börsenspekulationen wäre durch sensible Stimmanalyse KI-Einsatz denkbar. Der Mensch liest, denkt, versteht, die KI beleuchtet strukturelle Muster und liefert damit selbstständig neue Ideen.

Spitzer spricht die Vorteile der KI deutlich an, aber auch die Nachteile, die nicht in der KI selbst, sondern im Umgang mit ihr liegen. Wenn Schulkinder und Auszubildende nur noch auf ChatGPT zurückgreifen und selbstständiges Denken im realen Leben in Interaktionen mit anderen Menschen vernachlässigen, ist der Verfall unserer Kultur nach Handy- und Social-Media-Sucht auf einer noch intensiveren Ebene ein großes Thema. Die militärische Anwendung von KI wird in den Händen von Machthabern, die mit dem Rücken zur Wand stehen, zum absoluten Unsicherheitsfaktor. „Eine Lösung ist nicht in Sicht“, so Spitzer. Die KI bleibt zwischen Erdbebenvorhersagen und militärischer Bedrohung ein zweischneidiges Schwert. Hinzu kommt, dass sich die soziale Schere noch weiter öffnet. Profite fließen in private Taschen, die Allgemeinheit trägt die finanziellen Kosten und wird zur noch stärker manipulierbaren Masse.

Manfred Spitzer „Künstliche Intelligenz – Dem Menschen überlegen – wie KI uns rettet und bedroht“, Droemer Knaur Verlagsgruppe, München 2023, 355 S.