"Kultur macht glücklich"


Kae Tempest „Verbundensein“

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Kae Tempest „Verbundensein“

©Suhrkamp Verlag, 2022

Offen spricht Kae Tempest vom eigenen tagtäglichen, oft frustrierenden Kampf gegen die Abstumpfung durch Gewöhnung und tradierte Rituale. In jungen Jahren lernte Kae Tempest Besitz, Sozialstatus, öffentlicher Anerkennung enormen Wert beizumessen. Stark beeindruckt von C.G. Jungs „Rotem Buch“ über die Polarität des Geistes der Zeit und den Geist der Tiefe begann Kae Tempest sich umzuerziehen, lenkte die Aufmerksamkeit auf Dinge, die normalerweise gar nicht auffallen, auf die „Farben der Dinge“, die „Gefühle in mir“, um zum fremdgesteuerten Konsum- und Imagedenken eine Gegenkultur der Achtsamkeit zu schaffen, in der man sich über sich selbst, nicht über die Meinung der anderen definiert.

Im „Soundcheck“ kratzt Kae Tempest am eigenen Spiegelbild, das nicht zeigt, wer wir sind, sondern wie wir sein wollen. Aus der Diskrepanz unserer moralischen Ansprüche und Verhaltensweisen ergibt sich ein fragwürdiges Doppelleben der Angepasstheit. Den Alltag zu bewältigen, erfolgreich zu sein, gelingt nur durch Abstumpfung. Der einzelne ist nur „Schiene für die Maschinerie, die auf deine Komplizenschaft und leidenschaftliche Formbarkeit angewiesen ist“. Wenn Kae Tempest Gedichte in der Öffentlichkeit spricht, ändert sich sich die Energie zwischen den Menschen und die Schwingung im Raum grundlegend. Aus Konsumenten werden aktive, kritische Zuhörer.

Der „Einlass“ in das neue Leben war schwierig. Doch mit weißer Hautfarbe und mittelschichtsprivilegiert konnte sich Kae Tempest Irrwege wie Heroinsucht leisten und trotzdem durch ihre Begeisterung für Musik und ihr Talent den Weg in ein unabhängiges Leben finden. Mit schwarzer Hautfarbe wäre das nicht möglich gewesen. Texte und Musik sind für Kae Tempest ein „Support-Act“. Als empathische Wesen entwickeln Menschen über das Hören von Texten Verbundenheit und durch die eigene Stimme wird sich Kae Tempest selbst über die Prozesse des Schreibens bewusst, die eine Brücke zu den Gefühlen und Erfahrungen der anderen schaffen. Dem Denken muss ein Handeln folgen. Nur dann erschließt sich Verbundenheit. Statt andere zu beurteilen, muss man sie in ihrer Komplexität erfassen. 

Zwischen „Vorbereiten“ und „Rausgehen“ eines Konzerts zu „spüren, wie es passiert“, die eigene Unzulänglichkeit in den Griff zu bekommen, ist letztendlich für Kae Tempest immer wieder die große Erfahrung kreativer Verbundenheit, in der sich ängstliche, mitunter sogar feindliche Gefühle auflösen. „Ich weiß, wofür ich stehe.“ Damit macht sich Kae Tempest frei von der Abhängigkeit der Zustimmung unserer Produktions-Konsumptionsmentalität und folgt unbeirrt ihrem ureigensten Weg.

Kae Tempest, 1985 in Süd-London als Kate Esther Calvert geboren, hatte mit 16 Jahren ihren ersten Rapauftritt, identifizierte sich mit 19 als queer und nannte sich mit 20 Kae als Ausdruck ihrer nichtbinären Geschlechstidentität. Kae Tempest schreibt Lyrik, Theaterstücke, Essays und Romane und wurde dafür schon mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Ted Hughes Award for New Work in Poetry, einem der der wichtigsten Lyrikpreise Großbritanniens. 

Buchkritik von Kae Tempest "Verbundensein" präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Suhrkamp Verlag, 2022

Kae Tempest „Verbundensein“, Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 138 S.