© Matthes & Seitz Verlag
Heike Behrends vier große Forschungsprojekte geben die Struktur vor und entwickeln sehr plastisch wie die Welt der afrikanischen Geister von den christlichen Vorbildern geprägt und abgelöst wurden, inklusive der unrühmlichen Rolle der katholischen Kirche.
In den Tugenbergen im Nordwesten Kenias, die sie von 1979-1985 mehrere Male bereiste, ging es um den Gegensatz „vertraut versus fremd“ im dörflichen Umfeld mit seinen tradierten Ritualen von Initiationsriten bis zur Bedeutung der Schatten der Geister für die Menschen. Sie war die Fremde und musste ihre Selbstwahrnehmung durch die Fremdperspektive der Afrikaner korrigieren, sich in die Rolle einfügen, die man ihr als alleinstehende Frau in dieser Dorfgemeinschaft zuwies. Anfangs wurde sie wegen ihrer offen getragenen Haarmähne und ihrer Verstöße gegen die Schicklichkeitsgebote als Affe verlacht, gewann dann aber Schritt für Schritt den Respekt der Gemeinschaft, begann die Rituale zu verstehen und aus der Perspektive der Afrikaner die Kolonialherrschaft neu einzuordnen.
Als Heike Behrend 1987 die Holy-Spirit-Bewegung der Rebellen im Ugandischen Unabhängigkeitskrieg zu erforschen begann, entstand daraus eine Feldforschung über den „Aufstand der Geister“ (1987-1995). Die Geistbesessenheit der Menschen war zunächst ein rätselhaftes Faszinosum. Sie selbst wurde niemals in einer Séance zum Medium eines Geistes, erlebte aber immer wieder, wie Menschen von Geistern besessen sich in fremde Menschen verwandelten, als Objekte eines anderen Geistes regelrecht depersonalisiert wurden und nach leidvollem Ringen wieder zu sich kamen. Wenn sich das Medium dem Geist unterwarf, gewann es an Macht, ohne Verantwortung zu tragen, da es fremdbestimmt war. Nicht zuletzt daraus entwickelten die europäischen Ethnologen das Bild eines traditionellen, rückständigen Afrikas. Die Leistung, die Afrika für die Modernisierung Europas einbrachte, wurde indessen vollkommen ignoriert.
„Im Herzen der Postkolonie“ erlebt Heike Behrend zwischen 1996 und 2005, wie durch die Wiedereinführung eines Königreichs Korruption und Gewalt in Tooro wuchsen. „Die Hölle waren die (nahen) Anderen“, schreibt sie in Anlehnung an Sartre. Wer Bestechungsgelder zahlen konnte, hatte Recht, so dass nicht die Betrüger, sondern die Opfer im Gefängnis landeten. Gleichzeitig entstand durch die Aids-Krise eine extreme Stimmung gegen die Europäer. Der Tod durch Aids wurde nicht biologisch begründet, sondern durch Verhexung durch neidische nahe Verwandte erklärt. Durch die Kombination böser Geister und christlicher Heilbotschaften gewann die Kirche durch brutale Hexenverfolgungen und Geisteraustreibungen enormen Einfluss. Gott und der Heilige Geist wurden „als eine Art Superhexer gegen das Böse“ eingesetzt. Heike Behrend deckt die historischen Wurzeln und sozialen Transformationen des Kannibalimus auf. In frühen Kulturen tranken die Nachfolger von Königen bei der Inthronisation die Körpersäfte ihrer verstorbenen Väter, um sich deren Fähigkeiten einzuverleiben. Die christliche Eucharistie erklärt sie als symbolisches Beispiel der Einverleibung Gottes als Art von „Liebeskannibalismus“. Sie selbst geriet als Nicht-Katholikin in Afrika mit Distanz zu den Hexenverfolgungen und Geisteraustreibungen in den Ruf, eine Kannibalin zu sein, die von bösen Geistern gelenkt, Unheil anrichtet. Ihre Überzeugung, dass es in Deutschland keinen Kannibalismus gebe, musste sie revidieren, als der „Kannibale von Rotenburg“ Schlagzeilen machte.
Die Wechselseitigkeit kultureller Spiegelungen demonstriert Heike Behrend zum Abschluss in „Geteilte Fotografie“ (1993-2011). Erst über die Fotografien des kolonialen Siedlertourismus, der später nahtlos in den Massentourismus überging, lernten die Afrikaner die Schönheit der Ostküste kennen. Die afrikanische Straßenfotografie gerichtet auf die Touristen bei der An- und Abreise spiegelte deren Blick auf Afrika zurück. Die Fotografien dokumentierten die Texte der Ethnologen und enthüllten aus späterer Perspektive ihre Verirrungen in stereotype Klischees und ihr Scheitern, das Heike Behrend immer wieder an ganz konkreten Situationen im Diskurs mit anderen Ethnologen enthüllt.
©Anita Back
Heike Behrend wurde 1947 in Strahlsund geboren. In München, Wien und Berlin studierte sie Ethnologie und Religionswissenschaften. Ethnologisch arbeitete sie vor allem in Ostafrika und unterrichtete an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland. Heike Behrend lebt in Berlin.
Heike Behrend „Menschwerdung eines Affen“, Matthes & Seitz Verlag, Berlin, 2021, 278 S.