Sinns Recherchen und Erkenntnisse sind mehr als betrüblich, zeigen die wirtschaftliche Katastrophe, auf die EU-Politik seit Griechenland zusteuert, jetzt durch die Corona-Krise zusätzlich extrem befeuert, indem sie „die wunderbare Geldvermehrung durch das Corona-Virus“ ermöglicht. Politiker haben längst den Überblick verloren, ignorieren die Problematik dieser langfristigen Auswirkungen, immer nur damit beschäftigt, über kleine Aktionen ihre eigene Popularität und Wiederwahl voranzubringen.
Hans-Werner Sinns „Der Corona-Schock“ liest sich wie ein mafioser Krimi mit Zentrum EZB. Hier wird inzwischen in Milliardenhöhe „Helikoptergeld“ gedruckt, das Wohlstand ohne Wirtschaftssteigerung zu sichern scheint, wodurch die starken Staaten Europas, insbesondere Deutschland in eine immer desaströsere Abhängigkeit verwickelt werden, obwohl durch § 125 des Maastrichter Vertrages ausdrücklich die Finanzhoheit bei den Nationalstaaten verankert ist. Sinn zieht die Parallelen zum US-amerikanischen Hamilton-Effekt. Als der damalige US-Präsident die Schulden der amerikanischen Staaten übernahm, brach das System zusammen und konnte nur durch die nationale Rückbesinnung der Schuldensouveränität wieder hergestellt werden.
Bei steigender Geldmenge, aber gleichbleibender bis geringerer Arbeitsleistung, ist die Geldentwertung vorprogrammiert. Wer spart, ist benachteiligt, bekommt für sein Geld keinen adäquaten Gegenwert, kann sein Alter nicht mehr absichern, zumal die deutschen Lebensversicherer und auch die französischen Banken intensiv in fragwürdige italienische Staatsanleihen investierten, wodurch sich die Abhängigkeitsspirale seit Jahrzehnten intensiviert und jetzt durch den Corona-Aufbau-Fond, ein reiner Etikettenschwindel, zum Sprengstoff wird. Viel besser wäre es nach Sinn, schwache Länder eine gewisse Zeit aus der EU zu entlassen, damit sie mit eigener Währung und durch entsprechende Abwertung ihre Wirtschaft wieder in Schwung bringen können.
Neben der Destabilisierung des Geldmarktes durch die Schuldensozialisierung sieht Sinn die Problematik auch im kurzsichtigen Alleingang ideologisch befrachteter deutscher Umweltpolitik, deren vermeintliche Innovationen sich wie beispielsweise in der Automobilindustrie mit der staatlich erzwungenen einseitigen Orientierung auf Elektroautos weder ressourcensparend noch klimaschonend auswirken. Zum einen lässt diese Strategie die Politik der erdölproduzierenden Länder außer Acht, die ihren Rohstoff dann andernorts verkaufen. Zum anderen helfen die Knebelungen der EU-Richtlinien Frankreich die Führung in der Automobilbranche in der EU zu übernehmen. Sinn plädiert dagegen für einen weltweiten, für alle Länder verpflichtenden Emissionshandel. Nur dann wird Klimapolitik nachhaltig.
Der dritte Problembereich ist „das große Damoklesschwert der demografischen Entwicklung“. Immer mehr Fachkräfte wandern wegen der schlechten Verdienstmöglichkeiten aus Deutschland ab, während die Zahl weniger qualifizierter Arbeitskräfte und Sozialfälle ansteigt, wodurch die Waagschale zwischen Arbeitsleistung und in Anspruch genommener Sozialleistung immer mehr in Schräglage gerät.
Es gibt keine Patentrezepte aus diesen komplexen Problemstrukturen herauszukommen. „Die Zeit der Träumereien ist vorbei. Wir müssen realistischer agieren und unsere eigene Sicherheit besser schützen“ ist Sinns sehr nachvollziehbares Fazit. Einen ersten, wenn auch viel zu späten Schritt, sieht er in der Klage des Bundesgerichtshofs gegen das Vorgehen der EZB. Die Politiker müssten lernen, über ihre persönliche Amtsperiode hinaus langfristiger zu denken und die Warnungen der Wissenschaftler und Experten ernsthafter miteinbeziehen. Die Corona-Krise böte diesbezüglich ein großes Lernfeld.
Hans-Werner Sinn: Der Corona-Schock. Wie die Wirtschaft überlebt. Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2020, 218 Seiten, 18 Euro