"Kultur macht glücklich"


Carolin Emcke „Ja heißt ja und…“

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Carolin Emcke „Ja heißt ja und…“

©S. Fischer Verlag

Carolin Emckes assoziativer Monolog, aus einem Solo-Abend für die Berliner Schaubühne entstanden, gewinnt in seinem sich immer von neuem wiederholenden Aufruf Gewalt zu benennen, eine ungewöhnliche Intensität, die sich ins Bewusstsein eingräbt und Wahrnehmung im Alltag verändert. „Wahrnehmungen sind nicht einfach da“, hängen von bisherigen Erfahrungen ab. Noch nie Gehörtes, nicht Vorstellbares bleibt in der Regel stumm. Wahrnehmungen brauchen Wiederholungen, damit Signalwirkungen und Reflexe entstehen. Carolin Emcke hat das an sich selbst erlebt und bekennt Situationen, in denen sie in jungen Jahren nicht den Mut aufgebracht hatte etwas zu sagen, als eine Freundin von ihrem Mann geschlagen wurde, als sie als Journalistin in Kabul ein junger Sklave bediente, dessen Elend ihr erst viel später durch einen Zeitungsartikel bewusst wurde.

Mit „das darf nicht sein, kann nicht sein“ wird Gewalt oft unter den Tisch gekehrt, vor allem in Verbindung mit Menschen, die sympathisch sind, die etwas im Leben geleistet haben. Die Praxis zeigt dagegen gerade in der Metoo-Debatte, dass Täter und Tat sich oft gar nicht ähneln. #metoo ist keine Luxusdebatte, bringt nur die chauvinistischen Strukturen der Gesellschaft ans Tageslicht. Es handelt sich um Gerechtigkeitsfragen eng verknüpft mit gesellschaftspolitischem Mehr- bzw. Minderheitsdenken und mit der Schablonisierung der menschlichen Beziehungen, die der gegenwärtigen pluralistischen Gesellschaft nicht mehr entspricht. 

Als „Tugendterror“ wird die Frage nach sexueller Lust abgetan. Dabei wird verkannt, dass Lust zum Leben gehört und Ausdruck der Freiheit ist. Diese Lust ist nicht normiert, bei jedem Menschen anders. Entscheidend ist, dass Lust im gegenseitigen Einvernehmen, mit einem offenen Ja erlebt wird. Carolin Emcke sucht genauso wie andere Feministinnen nach der richtigen Balance, „unnachgiebig zu sein, wo es nötig, aber auch großzügig zu sein, wo es möglich ist“, ohne dass voreilig moralische und ästhetische Urteile gefällt werden.

Ihre Lösungsvorschläge sind nicht neu, aber eben immer noch nicht gesellschaftlich umgesetzt, angefangen von mehr Frauenhäusern, in denen Frauen nicht nur Atem holen, sondern längerfristig bleiben und zur Ruhe kommen können, über wesentlich größere Sensibilisierung der Menschen, die beruflich mit Gewalt zu tun haben bis zur Forderung nach gleichen Löhnen für alle und mehr Diversität in den Chefetagen und künstlerischen Berufen. 

Interessant ist ihr Ansatz der vertikal hierarchischen Macht die „Potentialität“ entgegenzustellen, die durch die Synergie zweier freier, sich liebender Menschen entsteht, die Macht, wenn man gegen repressive Strukturen und rassistische Ausgrenzungen aufbegehrt, die Macht, die entsteht, wenn man die Geschichten wichtiger Bürger- und Menschenrechtler weitererzählt, alte und junge Menschen ernst genommen werden. Carolin Emcke zeigt Größe, wenn  die Selbstkritik final als das Wichtigste in den Vordergrund stellt. Nur dann bleibt der Mensch lernfähig und bei sich selbst. 

©Andreas Labes

Carolin Emcke, geboren 1967, studierte Philosophie in London, Frankfurt/Main und Harvard. Sie promovierte über den Begriff »kollektiver Identitäten«. Von 1998 bis 2013 bereiste Carolin Emcke weltweit Krisenregionen und berichtete darüber. 2003/2004 war sie als Visiting Lecturer für Politische Theorie an der Yale University. Sie ist freie Publizistin und engagiert sich immer wieder mit künstlerischen Projekten und Interventionen. Seit über zehn Jahren organisiert und moderiert Carolin Emcke die monatliche Diskussionsreihe »Streitraum« an der Schaubühne Berlin. Für ihr Schaffen wurde sie vielfach ausgezeichnet. 2016 erhielt sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 

Carolin Emcke „Ja heißt ja und …“, S. Fischer Verlag, Hamburg 2019, S. 10