©Penguin Verlag
Die konzeptionelle Raffinesse ist der Schwarz-Weiß-Kontrast durch die beiden Gesprächspartner, deren Lebensverhältnisse nicht unterschiedlicher sein könnten und die doch geistig sehr viel verbindet. Springsteen wurde in einer Kleinstadt in New Jersey geboren, Obama in Hawaii. Sozialisiert wurden sie in ganz unterschiedlichen Verhältnissen. Doch Außenseiter waren sie beide. Sie hatten die gleichen Probleme, in der Masse sichtbar zu werden und den Spagat zwischen den Extremen zu bewältigen. Obamas Sprungbrett wurde der Sport mit Basketball, für Springsteen war es die Gitarre.
In ihren Dialogen kreisen sie ausgehend von privaten Anlässen um die Fragen, die die USA bewegen, teilweise in bisher nicht veröffentlichten Gesprächspassagen, erweitert von Springsteens handgeschriebenen Songtexten und Obamas mit Randbemerkungen versehenen Reden. Fotografisch sehr vielfältig illustriert entstand eine Dokumentation, die im Gegensatz zur Realität die Eckpunkte Amerikas verbindet.
In den acht Gesprächen bauen sich über viel Privates und Triviales die grundlegenden, sehr einfach und verständlich formulierten Überlegungen auf, wie man eine Stimme, „zum Kanal“ für die Menschen wird.
Beide fühlen sich dabei von klein auf als Patrioten. Egal ob unter der Schulflagge oder während der Mondlandung, immer hatten sie das Gefühl in einem tollen Land zu leben, in dem jeder eine Stimme hat. Für Obama zählt, dass Amerika aus dem „menschlichen Sammelsurium ein einziges Volk“ gemacht hat. „Nichts symbolisiert diese Wahrheit stärker als unsere Musik“. Sie war immer der Spiegel der Gesellschaft. Über die Musik wurden Massen beeinflusst. „Dafür lohnt es sich zu leben“, bekennt Springsteen. Die Musik ließ die rassistischen Schranken zumindest für einige Minuten vergessen, während die Politik immer wieder vergeblich versuchte die Barrieren abzubauen.
In jedem Kapitel findet man berührende persönliche Bekenntnisse, z. B. wenn Obama am Grab von erschossenen Bürgern spontan „Amacing Grace“ anstimmt und in diesem Moment begreift, dass er als Präsident nur „ein Instrument für alle anderen“ ist.
Den Rassismus erleben beide aus unterschiedlichen Perspektiven, doch Schwarz ist immer die Hautfarbe der Stigmatisierung, die man einfach nicht an der Garderobe ablegen kann. Obama wollte die soziale Kluft durch eine gute Schulausbildung für Kinder und eine Krankenversicherung für alle ändern. Doch die Gier nach dem Dollar und der Einfluss der Lobbyisten wurde immer stärker, wobei die menschlichen Werte zunehmend verloren gingen.
Ein Thema, was beide immer wieder beschäftigt und worin sie viele Übereinstimmungen finden, ist das sehr körperlich geprägte Männerbild Amerikas. Männer haben hart und zäh zu sein, Gefühle zu unterdrücken, andere zu beherrschen. Frauen werden immer noch oft als Objekte behandelt. Wer eine Frau braucht, ist schwach. Gerade weil sich beiden die Väter entzogen, begannen sie mit ihnen wie „mit Geistern zu ringen“ und deren Vorlieben anzunehmen. Trotzdem wurde für beide die Familie mit starken, selbstbewussten Frauen, die wiederum an die Mütter erinnerten, über Jahre hinweg der wichtigste Anker im Leben.
Die entscheidende Frage kommt erst am Schluss. Was muss getan werden, um das amerikanische Versprechen von Freiheit und Gleichheit zu erneuern, das ramponierte Image wieder aufzupolieren? Für Obama waren es die alten Werte, harte Arbeit, die Opfer für die Kinder und die Selbstverantwortung, die die Menschen stark machten. An diesen gemeinsamen Glauben an die Zukunft wollte Obama in seiner Regierungszeit anbinden. Springsteen schuf mit seinem Song „Born in the U.S.A.“ eine Ikone patriotischer Gesinnung.
Dieses Gefühl wurde bei der Amtseinführung Joe Bidens spürbar. Doch gemessen am amerikanischen Alltag vermittelt die Publikation von „hope-guy“ Obama und the „rising guy“ Springsteen eher einen nostalgischen Idealismus zweier starker Persönlichkeiten als den gesellschafts-politischen Aufbruch in eine gemeinsame Zukunft.
©Penguin Verlag, 2021
Barack Obama war von 2009 bis 2017 der 44. Präsident der USA. Er veröffentlichte „Ein amerikanischer Traum“, „Hoffnung wagen“ und „Ein verheißenes Land“. 2009 wurde er mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Er lebt mit seiner Frau Michelle und den beiden Töchter Malia und Sasha in Washington D.C.
Bruce Springsteen (*1949) wurde in die „Rock and Roll Hall of Fame“ und die Songwriter „Hall of Fame“ aufgenommen. Der Bandleader der E Street Band erhielt den Oscar- und Tony-Award und 20 Grammy Awards. 2018 veröffentlichte er seine Autobiografie „Born to Run“. Er lebt mit seiner Familie in New Jersey.
Barack Obama, Bruce Springsteen „Renegades: Born In The USA. Träume – Mythen -Musik“, Penguin Verlag, München 2021, 320 S mit 350 Abbildungen