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Albert Ostermaier – „Die Liebe geht weiter. Roman mit Pasolini“

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Albert Ostermaier – „Die Liebe geht weiter. Roman mit Pasolini“

©Matthes & Seitz Berlin,

Ostermaier und Pasolini begegneten sich nie im Leben, „aber den Pasolini, den ich mir ausdenke, und ich, wir treffen uns wie zwei Tangenten im Unendlichen“. Mit diesem Cover-Zitat…

positioniert Albert Ostermaier ganz klar seine Beziehung zu Pasolini. Als Pasolini starb, war Ostermaier acht Jahre alt. Später war er fasziniert von Pasolini. Als Autor nimmt er sich von Pasolini, was er wollte, wo er Kongruenzen sah. Es ist kein Roman über, sondern mit Pasolini, kunstvoll arrangiert aus drei unterschiedlichen Perspektiven, dem Ich-Erzähler, der Mutter und seinem Liebhaber Ninetto. Ostermaier reflektiert Pasolinis biografischen Fakten und menschlichen Beziehungen vor dem historischen Kontext und verdichtet sie durch Exkurse in die Kunstgeschichte und Philosophie. 

Inspiriert von Pasolinis nachgelassenen 112 Sonetten, werden die tangentialen Berührungspunkte von Ostermaier und Pasolini offenkundig. Gleichzeitig lässt Ostermaier Pasolinis erlebte Missbrauchserfahrungen leitmotivisch immer wieder aufleuchten, wenn er die glückliche Kindheit aus der Sicht der Mutter durch die Ritze im Ehebett von Pasolinis Eltern konterkariert und sie zum Symbol des Missbrauchs immer wieder als Riss seiner Welt hervorhebt. 

Verdi hätte über Pasolini eine Heldenoper geschrieben, so Ostermaier. Er selbst schreibt einen assoziativ dahin mäandrierenden Roman, so kunstvoll formuliert, wie man ihn in der modernen Literatur kaum findet und der beim Lesen volle Konzentration fordert. 

Ostermaier beginnt in der depressiven Winterstimmung im italienischen Ostia, wo Pasolini 1975 ermordet wurde. Die Hafenstadt wird zum Ausgangs- und Rückkehrort, zum Symbol von Verfall und Gedenkort. In immer neuen Facetten und Assoziationsketten umkreist Ostermaier Pasolinis Beziehung zu seinem Geliebten Ninetto Davoli, in dem sich nicht nur die Armut der Bauern, der Tiere und des Bodens spiegelt, sondern auch Ostermaiers Suche nach Pasolinis Ego in der Vielfalt seiner Rollen. War er ein Seher, ein Märtyrer, ein Held oder ein Tyrann? War er einer, der den anderen nur als Eigentum betrachtete, seinen Geliebten Ninetto versklavte, indem er ihm die Würde der Freiheit nahm, während Ninetto davon angewidert ist, immer nur Trophäe zu sein, und von einem Leben träumt, in dem er selbst Regie führt? 

Ostermaier hinterfragt Pasolinis Verhältnis zur Mutter, zum Vater, zum Faschismus. Er entdeckt so viele Pasolinis. „Alles ist ihm nie genug. Er will mehr. Raus aus der Literatur ins Leben, raus aus dem Leben in die Ewigkeit, raus aus der Politik in die Liebe…am Ende multiplizierte Einsamkeit…eine Einsamkeit wie eine unheilbare Krankheit, Metastasen, sie teilen sich und teilen sich…“ 

Ostermaier entdeckt Pasolinis zersplitterte Persönlichkeit. Pasolini wollte immer aus der Reihe tanzen und dazu brauchte er die Reihe, den Widerstand der anderen, um sich selbst lebendig zu fühlen. „Wie ein Ausrufezeichen“ steht er im Leben und gehört niemandem, außer seiner Mutter, Ninetto und der Sprache. 

Das Buch empfiehlt sich für Leser:innen, die literarisch anspruchsvolle, assoziative Texte lieben und sich für Pasolini interessieren.

Albert Ostermaier: Die Liebe geht weiter. Roman mit Pasolini“, Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2025, 188 S.