„Heuerne bei Éragny“ Pissarro, 1901©National Gallery ov Canada, Ottawa, Foto: Michaela Schabel
In der Karibik geboren und aufgewachsen wurde Pissarro schon in seiner Kindheit von der bunten Vielfalt der Natur, der Menschen und von malerischen Alltagsszenen geprägt. Als er 1855 nach Frankreich kam,…
schloss er nach der Ausbildung zum klassischen Maler antiakademischen Künstlern an, die zunächst heftig kritisiert wurden, später als Impressionisten in die Kunstgeschichte eingingen. Camille Pissarro zählt neben Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir, Edgar Degas, Alfred Sisley, Berthe Morisot, Mary Cassatt und Édouard Manet zu den bekanntesten Impressionisten und beteiligte sich als einziger an allen acht Ausstellungen des Impressionismus. Seine Bilder sind nicht spektakulär, aber er macht die Natur und Städte zu allen Jahreszeiten und unterschiedlichen Wetterbedingungen lebendig.
Mit über 100 Landschaften, Stadtansichten, Stillleben und Figurenbildern aus circa 50 internationalen Sammlungen präsentiert das Museum Barberini eine einzigartige Retrospektive „Mit offenem Blick“ auf Pissarro und seine sozialutopischen Ideen über ein Leben im Einklang mit der Natur.
Die Ausstellung zeichnet chronologisch Pissarros künstlerischen Werdegang nach und beginnt mit alttäglichen Motiven, Menschen bei der Arbeit, harmonischen Landschaften im Umfeld seiner karibischen Heimat Saint Thomas, die sich in Frankreich in beschauliche Motive von „Louveciennes“ mit Kastanienbäumen und Schneelandschaften zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten verwandelten, ergänzt durch Porträts von seiner bodenständigen, sehr fleißigen Frau, die er gegen den Willen seiner Eltern heiratete und ein Selbstporträt mit 43 Jahren.
Im Kreis der Impressionisten wurden die Farben heller. Verdünnt mit gebrochenen Pinselstrich teilweise auf Seidenuntergrund aufgetragen entstanden flirrende, lichtdurchflutete Impressionen entstanden, die durch strukturierte Felder, Bäume, in weiten Perspektiven sehr ausbalanciert wirken. Zuweilen experimentierte Pissarro mit fächerförmigen Ausschnitten, die in der Ausstellung attraktiv als Sexagon zur hinterleuchtete Bilderskulptur arrangiert sind.
Durch die naturnahe Lebensweise, die Pissarro mit seiner Frau und der wachsenden Kinderschar pflegte, lebte er lieber auf Lande als in Paris. Die landwirtschaftlichen Arbeitsprozesse gewinnen in seinen Bildern eine gelassene Ruhe. Die „Erbsenpflückerinnen“ oder die „Heuernte bei Éragny“ sind nicht Ausdruck sozialer Kritik und schwerer Arbeit. Pissarro entdeckt vielmehr ihre skulpturale Qualität. In großen Laubbäumen spiegelt sich die Atmosphäre der Jahreszeiten, in motivgleichen Bildern die Stimmungen unterschiedlicher Tageszeiten und Witterungen.
In den 1890er Jahren begann Pissarro die Bilder noch klarer zu strukturieren, Details zu reduzieren, wodurch er eine abstrahierte Flächigkeit erzielte. Durch Gelb und Violett steigerte er die Leuchtkraft seiner Bilder. In kleinen Farbtupfen neoimpressionistisch gemalt gelang ihm eine diffuse Farbwirkung, wodurch Bilder wie die „Die Ziegelei Delafolie in Éragny“ nahezu romantisch anmuten.
Von gemieteten Appartements aus malte er zwischen 1893 und 1903 die Menschen in Paris und anderen Städten im Bereich markanter Brücken und Plätze, wobei er modernen Fortschritt und historische Kulisse, arbeitende und flanierende Menschen harmonisch verband. Es sind großartige Stadtansichten, die sich beim Betrachten aus der Nähe in impressionistische Irrlichter auflösen, deren Motive wie Mont Martre, Port Neuf, Place Theâtre Francais weltberühmt wurden und in denen sich Pissarros in der Jugend erlebte Harmonie internationalen Handelns und Arbeitens widerspiegelt. Nicht nur für Freunde des Impressionismus ist die Ausstellung ein Erlebnis.