„Selbstporträt“, Elfriede Lohse-Wächtler©Privatsammlung, Foto: Michaela Schabel
Mit einem Raum voller Selbstporträts von Elfriede Lohse-Wächtler (1899-1940) in unterschiedlichen Variationen, nicht unbedingt schmeichelhaft, sondern…
expressiv, bizarr, grotesk mit markanter Dynamik, konfrontiert die Ausstellung „Ich als Irrwisch“ den Besucher mit der Künstlerin. Sie zählt trotz ihrer kurzen Schaffensphase zu den bedeutendsten Malerinnen zwischen 1925 und 1931. Mit 80 Bildern aus öffentlichen und privaten Sammlungen gelingt dem Franz Marc Museum in Kochel eine beeindruckende Retrospektive.
Wächtlers Bilder bestechen durch ungewöhnliche Authentizität, Empathie und Dynamik. Es sind keine dekorativen Porträts, sondern ihre eigenen Bewusstseinszustände und die der Menschen und Typen, denen sie in ganz unterschiedlichen Milieus, begegnete, die alte Blumenfrau, die kraftstrotzenden Hafenarbeiter und die Prostituierten in St. Pauli. Wächtler fokussiert auf das Wesentliche, auf die Spuren des Elends unter der Oberfläche, aquarelliert und malt darüber, manchmal auch umgekehrt. Jedes Bild offeriert ein irritierendes Psychogramm.
Glücklich wirkt nur nur der jüngeren Bruder Hubert, den Wächtler im Alter von 20 Jahren porträtierte. Nur zehn Jahre später zeigt ein zweites Porträt einen vom Leben Gezeichneten mit einer völlig verhärteten Mimik.
Unglücklich wirken auch Lohse-Wächtlers „Paare“. Männerhände greifen nach den Brüsten der Frauen, ohne sie anzuschauen. Die sexuelle Gier steht im Vordergrund bar jeglicher menschlicher Zuwendung. Die Augen erzählen von Ausgrenzung, Melancholie und Wehmut, was sich in den Patientinnen-Porträts während Wächtlers Aufenthalt im Krankenhaus in einem verständnisvoll mitfühlenden Sinn noch steigert.
In der Hamburger Avantgarde galt Lohse-Wächtler durchaus als beachtliche Newcomerin. Ihre Bilder wurden ausgestellt, aber der ökonomische Erfolg blieb aus. Armut war in ihrem Leben immer ein bestimmender Faktor. Mit 16 musste sie in Dresden ausziehen, um ihr Leben selbst zu gestalten und zu finanzieren. Sie studierte Kunst in Dresden, lernte viele Künstler der Avantgarde kennen, darunter auch Otto Dix, dessen grotesker Stil zuweilen in ihren Bildern aufleuchtet. Mit dem Maler und Opernsänger Kurt Lohse erlebte sie die glücklichsten Tage. Als sie heirateten, sorgte sie für den gemeinsamen Unterhalt. Obwohl sie ihm nach Görlitz, dann nach Hamburg folgte, gestaltete sich die Ehe immer schwieriger. Wegen der prekären finanziellen Situation verzichtete sie auf Kinder. Als Lohse sich von seiner Frau trennte, um seine Geliebte zu heiraten und Kinder zu haben, brach Wächtler zusammen. Arm und krank kehrte sie zu den Eltern nach Dresden zurück. Als der Arzt eine Schizophrenie diagnostizierte, wurde sie entmündigt und im Rahmen der nationalsozialistischen Eugenik vergast.
Die beeindruckende Retrospektive „Ich als Irrwisch“ mit Bildern von Elfriede Lohse-Wächtler ist im Franz-Marc-Museum noch bis zum 9. Juni zu sehen.