"Kultur macht glücklich"


München – Angelin Preljoçajs’ Ballett „Le parc“ getanzt vom Staatsballett 

Veröffentlicht am:

von

München – Angelin Preljoçajs’ Ballett „Le parc“ getanzt vom Staatsballett 

©Winfried Hösl

Drei grafisch reduzierte Baumkegel ragen in einen schwarz-weißen Wolkenhimmel. In roboterhafter Bewegungsdynamik geht ein Gärtnerquartett seiner Arbeit nach, bevor sich eine privilegierte Barockgesellschaft im Park amüsiert…

Stilsicher verfremdet enthüllt Angelin Preljoçajs in seiner Choreografie „Le parc“ klassische Gartenkultur a la Versailles als Ausdruck eines hierarchischen Herrschaftssystems, das alle Lebensbereiche ordnet, Mensch und selbst die Natur durch klare Richtlinien einengt.

Schon 1994 als Auftragsarbeit für die Pariser Oper kreiert, ist „Le parc“ immer noch interessant durch die famose Synthese von klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz. „Le parc“ ist abstrahiertes Erzählballett über drei emotionale Zustände der Verführung von der Liebe auf den ersten Blick, über rationalen Widerstand gegen eine Libertinage bis zur leidenschaftlichen Hingabe. Nicht die Natur befreit sich, dazu sind die Gärtner zu agil, die jeweils zu Beginn der drei Akte in immer exaltierteren Bewegungen und rasanteren Tempi hyperaktiv arbeiten, aufgepeitscht von sphärischen Totalitäten und Alltagsgeräuschen des Soundesigners Goran Vejvoda. Das ist die Rahmenhandlung, darin eingebettet die Geschichte einer Frau, die sich verliebt, sich von ihren einengenden Denkklischees und daraus resultierenden Widerständen befreit und sich schließlich zu ihrer Liebe bekennt, inspiriert von Madame la Fayettes Barockroman „La Princesse de Cleves“ (1678).

Vor moderner Kulisse und zunehmend blauem Horizont entwickelt Preljoçajs großartige Genrebilder höfischen Tanzvergnügens mit aufrechter Grandezza, untermalt von Mozarts Musik, weil er, so Preljoçajs, alle Gefühlsstimmungen zwischen Freude und Melancholie wunderbar ausdrückt. Unisono in historischen Gehröcken, die Männer in schwarz, die Frauen in gold flammt barockes Lebensgefühl auf, gleichzeitig ein paritätisches Gleichgewicht auf gleicher Augenhöhe.

Ballettkritik "Le parc" an der Staatsoper München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Winfried Hösl

Zunächst sehr klassisch getanzt, werden immer mehr moderne Elemente integriert. Das Tanzspiel „Eine Reise nach Jerusalem“ verwandelt Preljoçajs in eine keck resolute Stuhlperkussion. Die Arme kreisen immer schwungvoller, zeichnen Körperpartien nach, Schritte federn überzogen, Becken kreisen, Profillinien schlängeln, Körperachsen verschieben sich. Die Männer springen und galoppieren liebestoll. Auf allen Vieren auf die Bühne kriechend verändern sich Hierarchien. Und wenn die Damen mit Wespentaillien in riesigen Reifröcken ohnmächtig zu Boden sinken, gelingt eine humorvolle Parodie auf vergangene Zeiten, als den Frauen regelrecht die Luft abgeschnürt wurde. 

Das Pas de deux jeweils am Ende jeder Szene zeigt die Befreiung der Frau, bei der besuchten Vorstellung von Julian MacKay und Xsenia Shevtsova, es war ihr Rollendebüt, hingebungsvoll getanzt. Von einem Gärtner zum anderen gehoben schwebt sie unter sternenklarem Himmel in somnambuler Erstarrung über dem Geschehen. Wovon sie träumt, wird im letzten Pas de deux in zärtlicher Hingabe in fließenden Bewegungen zu Mozarts Adagio Klavierkonzert Nr. 23 vertanzt. Julian MacKay hebt sie über das Becken, die Schultern hoch, lässt sie über sein gewinkeltes Bein abrollen. Nicht er küsst sie, sondern sie ihn, als er sie um sich wirbelt, fasziniert die charismatische Kussszene immer noch. Das Bild vom „fliegenden Kuss“ ging um die Welt.

Ballettkritik "Le parc" an der Staatsoper München präsentiert von www.schabel-kultur-blog.de

©Winfried Hösl

Doch das allerletzte Wort haben die Gärtner, als emsig schnipselnde Ordnungshüter mit Scherenhänden in der Morgendämmerung. Zwar wirken die Wiederholungsstrukturen etwas langatmig, aber der große symbolische Bogen zwischen Barock und Gegenwart, Einengung und Freiheit, Natur und Kultur hat nichts von seiner Spannung verloren. 

Künstlerisches Team: Angelin Preljoçajs (Choreografie), Goran Vejvoda (Musik vom Band) , Koen Kessels (Musikalische Leitung), Thierry Leproust (Bühne), Hervé Pierre (Kostüme), Christian Kass (Lichtdesign nach Jacques Chatelet) Laurent Hilaire, Naomi Perlov (Einstudierung)

Mit: Julian MacKay, Xsenia Shevtsova, dem Ensemble des Bayerischen Tanzballetts und des Bayerischen Staatsorchesters