© 2021 Droemer Verlag
Sehr ausführlich beschreibt und analysiert Franziska Schutzbach „die Ursachen der weiblichen Verausgabung“. Sie liegen nach wie vor in dem immer noch sehr patriarchalisch geprägten Frauenbild. Frauen haben zwar mehr Rechte und Rollen, aber die Rollenbilder und -verteilungen sind nach wie vor konservativ. Auch wenn Männer im Haushalt mithelfen, bleibt den Frauen das Gros von 80 Prozent. Männer übernehmen klar umgrenzte Minibereiche. Die Frauen haben sich nach wie vor um das meiste zu kümmern, den Haushalt, die Kindererziehung, um Kita, Schule und Hausaufgaben, Terminplanung, soziale Kontakte, bleiben zu Hause, wenn das Kind krank ist. Der Mann entspannt nach der Arbeit. Für Frauen beginnt die zweite Schicht und haben sie einmal „frei“, dann erledigen sie Dinge, die schon längst einmal gemacht werden sollten.
In einem großen Bogen rollt Franziska Schutzbach die „Erschöpfung der Frauen“ auf, beginnt mit der „Sexuellen Verfügbarkeit“, den „Ursachen des schlechten Selbstvertrauens“, hinterfragt „Warum Emanzipation so viel Kraft braucht“, die Diktatur von „Körperscham“, „Mutterschaft“ und schildert die „emotionale Verausgabung im Beruf“.
Man kennt die Argumentationen, dennoch gewinnen sie unter dem Aspekt der Erschöpfung eine neue Gewichtung. Damit Frauen im Beruf erfolgreich sind, müssen sie die männlichen Verhaltensmuster akzeptieren. Frauen stehen immer im Spannungsfeld entweder zu rigoros männlich oder zu unqualifiziert weiblich zu sein. Das erschöpft, ebenso die Tatsache, dass es immer noch krasse Unterschiede in der Bezahlung für die gleiche Arbeit gibt und Frauen viel öfter, vor allem im Alter von sozialer Armut betroffen sind. Die Emanzipation hat die Erwartungen an Frauen in ihrer Rollenvielfalt zwischen Ehefrau, Mutter und Berufstätigkeit gesellschaftlich enorm hochgeschraubt, ohne ihr entsprechend etwas zurückzugeben. Doch bei genauerer Betrachtung handelt es sich weniger um ein Miteinander auf Augenhöhe, sondern mehr um Konsum-Wahlmöglichkeiten, um aus männlicher Sicht zu gefallen. Nach wie vor ist die ideale Frau schön, gepflegt, sanft, versöhnlich, hilfsbereit und fürsorglich. Nur Hexen, Megären und böse Schwiegermütter kennen das Aufbegehren und den Zorn und werden deshalb über Epochen hinweg gesellschaftlich degradiert.
Der Neoliberalismus mit seinen Selbstoptimierungsstrategien verstärkt diese Entwicklung. Es liegt ja an jedem selbst, was er aus seinem Leben macht und wie erfolgreich er ist. Dass einzelne Frauen inzwischen in wichtigen Positionen arbeiten, hat aber keinerlei Einfluss auf verbesserte Lebensbedingungen der Frauen in der breiten Masse. Die Mutterschaft fordert nach wie vor jeder Frau jahrelang täglich eine 24-stündige Verfügbarkeit ab. Zeit für die eigenen Bedürfnisse bleibt nicht, zumal auch sich die gesellschaftlichen Anforderungen an die Kindererziehung unter dem „Mythos vom glücklichen und erfolgreichen Kind“ immer mehr hochschrauben. Das ständige Verfügbar-sein-müssen wird durch das Fehlen von Großeltern und Verwandten noch verstärkt. Zurecht stellt Franziska Schutzbach fest, dass die Kleinfamilie dem Projekt „Eltern-Kind“ unheimliche Disziplin und Kraft abverlangt und die Doppelbelastung von Haushalt und Kind immer noch an den Frauen hängenbleibt. Die mütterliche Verfügbarkeit wird gesellschaftlich als selbstverständlich eingefordert. Tief verwurzelte Pflichtgefühle führen bei Nichterfüllung zu Schuldgefühlen, Burnout und Depressionen. Kein Wunder, dass viele Frauen, v. a. Singlemütter am Abgrund der Erschöpfung leben.
Die romantische Liebe als Ehe, in der die Frau für versöhnliche Harmonie sorgt und damit den Ausgleich zur Härte der kapitalistischen Außenwelt schafft, kommt allein den Männern zugute. Das wird erst anders, wenn bisherige Maßstäbe sich ändern, bewusst gemacht wird, wieviel Arbeit die Frauen im Grunde leisten. Homeoffice während der Pandemie, andererseits zunehmende digitale berufliche Erreichbarkeit und Überstunden machen das Familienmanagement auch nicht leichter. Ganz im Gegenteil, Karriereorientierung verschärft die Rollenbilder. „Die Frau bringt das Kind zur Welt und hat sich darum zu kümmern.“ Lohn für Hausarbeit ist immer noch reine Vision. Gleichzeitig drängen die steigenden Lebenshaltungskosten und der immer stärkere Druck zum Zweiteinkommen die Fürsorge- und Erziehungsarbeit immer mehr in den Hintergrund.
Deshalb tritt Franziska Schutzbach für eine neue Zeitpolitik ein, wie dies Frigga Haug, eine feministische Soziologin, als „Vier in einem-Perspektive“ schon 2008 gefordert hat. Durch Kürzung von Voll- auf Teilzeitarbeit in Verbindung mit Gleichwertigkeit von erwerbstätiger und sorgender Arbeit, kultureller Selbstverwirklichung und politischem Engagement soll jedem Menschen Raum gegeben werden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sichern, lebenslang individuell lernen zu können und gesellschaftspolitisch aktiv zu werden, wodurch allmählich die ausbeuterischen Verhältnisse überwunden werden sollen.
Die Erschöpfung der Frauen lässt sich nicht individuell lösen. Sie steht symbolisch für die Erschöpfung eines Wirtschaftssystems, das die Menschen aussaugt. Es wird nur die Erwerbstätigkeit für den Markt im Rahmen der ökonomischen Wertschöpfung und Nutzenmaxierung entlohnt, nicht aber die in der Regel von den Frauen ausgeführte Fürsorge-Arbeiten, ohne die das soziale Miteinander nicht funktionieren würde. Die Verschlechterung und Reduktion der Wohlfahrtssysteme verschiebt Care-Arbeit noch mehr in die häuslichen vier Wände auf die Schultern der Frauen. „Deshalb brauchen wir ein Umdenken in der Care-Arbeit“. Es müssen gesellschaftliche Veränderungen erfolgen.
©2021 Droemer Verlag
Franziska Schutzbachs Familie wanderte 1982 in die Schweiz aus. An der Universität Basel studierte sie Soziologie, Medienwissenschaften und Gender Studies und blickt inzwischen auf Lehraufträge an der Universität Basel, TU Berlin und LMU München zurück. Sie forscht, lehrt und publiziert über Reproduktionspolitiken, Geschlechterverhältnis, Rechtspopulismus und Antifeminismus und deren Zusammenwirken in der westlichen Welt und provoziert durch Aufrufe, rechtsnationale Kräfte in Europa, namentlich der Schweizerischen Volkspartei „auf formal-demokratischem Weg zurückzudrängen“. Abgeordnete sollten Nationalratssitzungen verlassen, in der ein extremer Rechter den Mund aufmache.
Ihr neues Buch „Die Erschöpfung der Frauen“ ist zeitweise auf Platz 4 der wöchentlichen Bestsellerliste des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verbands.
Franziska Schutzbach „Die Erschöpfung der Frauen“, Droemer Verlag, München 2021, 303 S.