©Wilfried Hösl
Die Geschichte zeigt am Beispiel Idomeneos, des Königs von Kreta, nicht nur die Macht, sondern auch die Einsicht der Götter, wenn Menschen sich heroisch verhalten. Neptun rettet Idomeneo bei der Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg aus einem Seesturm. Als Dank will Idomeneo den ersten Menschen, dem er an Land begegnet, Neptun opfern. Es ist sein Sohn Idamante, den die Trojanerin Ilia liebt, den aber auch Elettra begehrt. Idomeneo ist zwischen Gottesopfer und Vaterliebe hin- und hergerissen. Durch eine List soll Neptun getäuscht werden. Umso wilder tobt das Meer. Erst als Idamante und auch Ilia bereit sind zu sterben, hat Neptun ein Einsehen. Er verzichtet auf das Opfer unter der Bedingung, dass Idomeneo abdankt. Sein Sohn wird neuer König mit Ilia als Königin an der Seite. Elettra verfällt dem Wahnsinn.
Bestens besetzt, von Antú Romero Nunes sehr dynamisch inszeniert entwickelt sich ein hochdramatischer Spannungsbogen, bei dem alles perfekt ineinander greift.
Ein rotschimmernder Felsen an Schlachtengemetzel erinnernd verwandelt sich schwebend in einen Meteoriten als Symbol bedrohlicher Auslöschung allen Lebens. Riesige Skulpturen werden zu archaischen Seelenbildern verzweifelter Menschen, immer wieder umlagert vom Chor als Volk und der vier in tragischer Weise verbundenen Hauptpersonen.
Nur für hohe Stimmen komponiert entfaltet sich trotzdem ein überaus facettenreiches Tonspektrum. Fulminant und souverän singt Matthew Polenzani die Titelpartie mit königlich durchdringender Stimmaura aufbegehrend und wissend die Zeichen der Götter zu deuten. Mezzosopranistin Emily D´Angelo gibt einen schmissigen, edelmütigen Idamante ab, voll harmonischen Wohlklangs als Liebender, mit souveräner Dynamik, plötzlichen Forti und expressiven Akzenten in seinen Reflexionen. Dazu passt Olga Kulchynskas hell glänzender Sopran, der Ilia in ihrer Herzensreinheit spiegelt. In zwei Hochsitzen, die sich zueinander neigen, gestehen sie sich endlich ihre Liebe.
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Doch Idamante entschwebt alsbald nach unten in die Niederungen der Wirklichkeit, ein besonderes Stilelement dieser Oper, mit dem Akrobaten umgekehrt immer wieder in der Luft schwebend poetisches Abheben in Szene setzen.
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Am meisten überrascht aber Hanna-Elisabeth Müller. Sie zeichnet Elettra zunächst weniger als die oft interpretierte Furie, sondern als ebenso liebende Frau wie Ilia. Elettra hofft auf eine Zukunft mit Idamante in ihrer Heimat. Es kränkt sie nicht, „ihren Liebsten von einer anderen Liebe zurückerhalten zu haben“. Doch dieser Hoffnung beraubt, entrückt sie in selbstpeinigendem Wahn, in psychotische Welten. Wenn sie in größter Seelenpein abgründig ihr Schicksal besingt und sich mit Pech beschmiert, gelingt die ergreifendste Szene des Abends. Und Chor, trotz reduzierter Formation, plus Extrachor können bei dieser Oper einmal mehr ihre außerordentlich tonale Geschlossenheit und schauspielerische Flexibilität unter Beweis stellen.
Eine imposante musikalische Werkinterpretation gelingt dem Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung des Mozartexperten Constantinos Carydis immer mit der nötigen Balance zu den Akteuren auf der Bühne. Furios donnert und kracht es aus dem Orchestergraben, während Lichteffekte über die Zuschauer fluten. Selten erlebt man Naturgewalten in der Oper so naturalistisch. Ungewöhnlich klangschön lassen Rezitative und Mozarts fragmentarische Klavierfantasia durch das Hammerklavier (Andreas Skouras), Erzlaute und Barockgitarre (Thomas Boysen) aufhorchen.
Für volksnahe Fröhlichkeit sorgen geschickt collagiert die Einlagen der Musiker und Tänzer. Dass allerdings nach dem beeindruckenden Finale noch Mozarts Ballettmusik symbolisch für die neue Welt so ausgiebig vertanzt wird, wirkt nicht zuletzt wegen der schrillen Kostüme und sich wiederholender Bewegungsmuster arg exaltiert und angehängt. Das ist ein i-Tüpfelchen zu viel.
Künstlerisches Team: Constantinos Carydis (Musikalische Leitung), Antú Romero Nunes (Inszenierung), Dustin Klein (Choreografie), Phyllida Barlow (Bühne), Victoria Behr (Kostüme), Michael Bauer (Licht), Rainer Karlitschek (Dramaturgie), Stellario Fagone (Chor)
Mit: Matthew Polenzani (Idomeneo), Emily D’ Angelo (Idamante), Olga Kulchynska (Ilia), Hanna-Elisabeth Müller (Elettra), Martin Mitterrutzner (Arbace), Caspar Singh (Oberpriester Poseidons), Callum Thorpe (Die Stimme, Orakel), Chor, Extrachor, Opernballett, Statisten der Bayerischen Staatsoper, Bayerisches Staatsorchester