©Matthias Horn
Peer Gynt entwickelt sich in dieser Version zum Machtmenschen, Kapitalisten und Rassisten, genau zu dem Typ Mensch, der in unseren Tagen wieder Aufwind bekommt. Dass ihn in dieser Bochumer Inszenierung eine Frau spielt, zeigt, dass dieses Denkmodell nicht nur auf Mann beschränkt ist, zumal Anna Drexler diesen Peer Gynt in all seiner männlichen Grobheit mit messerscharfer Rede darstellt, wiewohl ihr Lächeln stets weiblich sympathisch wirkt und sie zwischendurch selbstvergessen feminin im Sand spielt. Monologisierend kämpft Anna Drexler als Peer Gynt mit dessen inneren Stimmen, gegen den eigenen Schatten, der sich auf der Schrägwand symbolisch gigantisch abzeichnet. In der Steilwand über dem Abgrund hängend, von der Kamera raffiniert gefilmt, rutscht sie den Abgrund ihrer Existenz, nicht auf Umwegen außen herum, „Nein durch die Mitte.“ Peer Gynt will nichts Geringeres als Kaiser werden, und zwar allein durch Geld und ein Heer von Süchten. „Mit nichts kam ich aus dem Westen“, brüstet er sich. Nach 10 Jahren preist er sich als autodidaktischer Prachtkerl, als Krösus durch den Sklavenhandel nach China und bekennt, dass „Kapitalismus ohne Rassismus“ nicht möglich ist. Nach Begehr nimmt er sich jede Frau ganz im Sinne eines patriarchalischen Weltbildes. Die fröhlichen Szenen mit der überfürsorglichen Mutter, von Michael Lippold im Plisseerock gespielt, sind nur noch Erinnerung.
Noch mehr als diese Genderwechsel verorten einzelne Szenen den Bochumer „Peer Gynt“ in unserer Gegenwart. Beraubt von seinen kapitalistischen Zecken-Freunden, allein auf dem Schiff, das im Sturm schaukelt, dass die Getriebe düster knarzen, von Wagners „Fliegender Holländer“-Musik wuchtig untermalt, lässt Peer Gynt keinen einzigen Flüchtling an Bord. Mit einem herzlosen „Amen! Du warst und bliebst du selbst“ überlässt er sie eiskalt ihrem Schicksal.
Auf seiner nächsten Station in Afrika wird Anitra, alias Marcy Dorcas Otieno zu Peer Gynts großem Widerpart, zur Symbolfigur ausbeutend vergewaltigender Kolonialisierung.
©Mattias Horn
Sie klagt adäquat in Englisch an, kann nicht vergessen, was die Weißen Afrika angetan haben. In ihrem Song blitzt das Leid Afrikas auf, in ihren Augen das neue Selbstbewusstsein der Afrikaner. Ibsens Irrenanstalt in Kairo mutiert mit Blick auf den Rest der Theatergruppe im leeren Foyer zum Theaterhaus für Tolle. „Man ist hier selbst“, womit sich ganz automatisch eine herrliche Satire gegenwärtiger kultureller Pandemiebeschränkungen ergibt, die globalen Fehlentwicklungen inklusive. Der absolute Kracher kommt zum Schluss. Solveig (Anne Rietmeijer), Peer Gynts wartende Geliebte nimmt ihn nicht, wie von Ibsen konzipiert, liebevoll in die Arme. Solveig will Solveig nicht mehr sein.
©Matthias Horn
Sie ist ja nur die Idee eines Mannes. Damit wird Ibsen endgültig analysiert als Spiegel seiner Zeit, die keinerlei Vorbildfunktion mehr haben und nur als Blaupause für unmögliches Verhalten herhalten kann.
Am 5. Mai ist „Peer Gynt“ als Video on Demand noch einmal auf dem Programm und steht natürlich nach dem Lockdown auf dem analogen Spielplan.
Hinter der Bühne: Dušan David Pařízek (Regie, Bühne) Kamila, Polívková (Kostüme), Mara Zechendorff (Mitarbeit Kostüme), Peter Fasching (Musik), Bernd Kühne (Lichtdesign), Angela Obst (Dramaturgie)
Auf der Bühne: Anna Drexler /Peer Gynt), Michael Lippold (Aase, Herr von Eberkopf), Anne Rietmeijer (Solveig), Lukas von der Lühe (Bräutigam, Hoftroll, Junge, Master, Cotton, Kapitän), William Cooper (Grüngekleidete, Monsieur Ballon, Koch), Marcy Dorcas Otieno (Dovre-Alte, Anitra), Konstantin Bühler (Trolljungfer, Begriffenfeld, fremder Passagier, Knopfgießer)