©JU Bochum
Regisseur Johan Simons reduziert seine Shakespeare-Inszenierung zu Beckettschem Existentialismus. Die guten wie die bösen Charaktere sehen sich auf dem Hintergrund ihrer Existenz mit dem Nichts ihres Egos konfrontiert. Deshalb beginnt Simons statt mit der Reichsteilung mit einem Prolog König Lears aus der Schlussperspektive eines Gescheiterten, wodurch das Spiel dieser dramatischen Doppelhandlung um die Familien von König Lear und Graf von Gloucester von Anfang an auf Distanz und Isolierung zielt.
Dass König Lears Töchter Goneril und Regan Mourad Baaiz und Michael Lippold spielen, verfremdet zusätzlich, unterstreicht die männlichen Verhaltensweisen und parodiert sie zugleich durch debile Optik. Rollen neu zu denken, für Johan Simons ein Mittel der Freiheit, bleibt allerdings in diesem Fall einen neuen Erkenntniswert schuldig, zumal die männlichen Töchter wie klischeehafte Pappfiguren ohne Ausdruck agieren. Nur Anna Drexler als Cordelia darf als jüngste Tochter, noch ein Teeny, und als Narr theatralisch auftrumpfen. Mit großer Attitüde setzt sie die Gefechte in Szene, während der Sturm tobt, und der Klangsound das Tosen des Meeres, die Kämpfe auf dem Feld, mehr noch in den Gehirnen hörbar macht. Hier wird nicht historisch, sondern in einer zeitlosen Gegenwärtigkeit gemetzelt, immer wieder satirisch unterbrochen von einem rhythmisierten „Olala“, das geistige Verwirrung in surrealer Beschwingtheit aufleuchten lässt.
Der Fokus liegt auf dem Text in der Neuübersetzung von Miroslava Svolikova und in der Textfassung von Koen Tachelet und Angela Obst, exzellent in jeder Rolle artikuliert und durch Mikros mit noch mehr Volumen als üblich, eine denkbar ironische Spitze auf den kulturellen Lockdown. Unterstützt durch die Nahaufnahmen gewinnt der Text mimische Präsenz und Prägnanz, was den dreistündigen Leidensweg zur Erkenntnis des „Menschen als zweifüßiges Tier“ in seiner existenziellen Sinnlosigkeit unerwartet spannend macht.
©JU Bochum
Als smarte Anzugträger mit weißen Rollkragenpullovern wirken die Mächtigen, König Lear (Pierre Bokma) und Graf von Gloucester (Steven Scharf), wie Manager unserer Zeit, Machtmenschen an der Grenze zum Wahn. Edgar (Konstantin Bühler), Gloucesters verstoßener Sohn, ist als Bettler mit nacktem Hinterteil das Kontrastprogramm. Er übernimmt die Führung seines geblendeten Vaters. Doch so sehr sich Gloucester den Tod wünscht, so sehr klebt er am Leben. Großartig offenbart Steven Scharf die Abgründe dieser Figur.
Am Schluss sind trotzdem alle tot. Sie hinterlassen nichts als Müll und wie Müll liegen die Leichen herum, die Körper durch die Kameraführung zerstückelt, noch ein Stück grausamer als die Szenerie dies in der Totalen vermitteln könnte.
Regie: Johan Simons, Bühne: Johannes Schütz, Kostüme: Greta Goiris, Textfassung und Dramaturgie: Koen Tachelet, Angela Obst, Sound: Warre Simons, Robin Koek, Video: Lennart Laberenz, Licht: Bernd Felder.
Mit: Mourad Baaiz, Patrick Berg, Pierre Bokma, Konstantin Bühler, Anna Drexler, Ann Göbel, Stefan Hunstein, Michael Lippold, Steven Scharf.