© Matthias Horn
Der Ethikrat trifft sich nicht wie in der Regievorgabe Schirachs im Leibniz-Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, sondern in einem V-förmigen Treppenfoyer. Große Holzpaneele dahinter verweisen auf die Übermacht der Fakten und Akten (Bühne: Hansjörg Hartung). Die Experten des Ethikrats rollen die Sachlage auf.
Frau Gärtner soll das Wort ergreifen. Sie will nicht und dann platzt es doch aus ihr heraus. „Ich will nicht mehr weiterleben“. Zu sehr vermisst sie ihren Mann, zu sehr hat sie sein Krebsleiden bis in den Tod miterleben müssen. So will sie nicht sterben. Sie will selbstbestimmt in Freiheit sterben. Doch ihre Sicht der Dinge, unterstützt von ihrem Rechtsanwalt und der Rechtssachverständigen, wird immer wieder torpediert von den Vertretern der Bundesärztekammer und der Bischofskonferenz. Respektvoll, sachlich wird hier diskutiert, mit vielen Beispielen und doch kein Wort zu viel. Gut akzentuiert, intoniert wird „Gott“ zum Spiel der Stimmen, die tagtäglich auf jedermann einprasseln. Wenige Gesten, ein durch die Haare fahren, eine resignierte Haltung zeugen vom inneren Kampf mit sich selbst. Unterschiedliche Positionen auf den drei Stufen, vorne oder hinten markieren die Gewichtigkeit der Argumente. Fehlen deren Schlagkraft, bleibt ein ehrliches, kompromissloses Verharren, das akzeptieren kann, wer empathisch genug ist sich in andere Perspektiven hineinzuversetzen.
Das klingt arg nüchtern und ist doch unerwartet spannend, weil die Schauspieler tatsächlich mit der Thematik ringen und sehr überzeugend spielen,v.l. Martin Rentzsch (Rechtsanwalt) , Bettina Hoppe (Mitglied des Ethikausschusses), Christine Schönfeld, (Augenärztin) Josefin Platt (Frau Gärtner), Judith Engel (Rechtssachverständige), Gerrit Jansen (Vorsitz des Ethikrats), Ingo Hülsmann (Vorsitzender der Bundesärztekammer) und Veit Schubert (Vertreter der Bischofskonferenz).
© Matthias Horn
Im Hintergrund setzt subtil melancholische Bratschenmusik emotionale Akzente. Abdunklungseffekte strukturieren das Geschehen und gewähren,kurze Überlegungsphasen.Wer gerade spricht, überzeugt ebenso die Argumentation der Gegenposition. Man oszilliert hin und her und genau dieser ständige Wandel der Meinung spiegelt die gesellschaftliche Problematik dieser Diskussion. Sind Freiheit und Autonomie wichtiger als das gesellschaftliche Gesamtgefüge, das auf der Basis ärztlichen Eides auf lebenserhaltendes Wirken ein würdevolles Leben alter oder kranker Menschen ermöglicht? Die Argumentation des Bischofs zerschlägt die an sich bombenfeste Beweisführung des Rechtsanwalts. Würde man einer 30-jährigen, die aus irgendeinem Grund sterben will, die Mittel zur Verfügung stellen? Würde sich gesellschaftlich nicht sehr schnell die Haltung herauskristallisieren alte und kranke Menschen zu Freitod aufzufordern? Wem gehört eigentlich das Leben? Gott, der Familie, den Freunden, einem selbst, fragt der Rechtsanwalt zurück. Der Mensch ist ein ambivalentes Individuum, die Gesellschaft genauso uneinig. Sie braucht eine solidarische Basis, auf der sich das Individuum entwickeln kann. Der Bischof kontert „Leben ist Leiden… Leiden ist Reinigung.“
Wie entscheidet das Publikum? Handzeichen genügt. Nur etwa ein Drittel stimmt für den Suizid. Der Ethikrat schließt seine Sitzung. Die Diskussion über dieses Thema ist noch lange nicht beendet. Das Verfassungsgericht hat das Gesetz über den Suizid von 2015 aufgehoben. Die gefundene Regelung war nicht gut. Nahestehende Personen durften nach diesem Gesetz Beihilfe zum Suizid leisten, nicht aber Sterbehilfevereinigungen oder Palliativmediziner. Es muss eine bessere Lösung gefunden werden. Gesellschaftsrelevanter kann ein Theaterstück kaum sein.