©Jochen Quast
Die Prozession der Sänger und Schauspieler zog mit Getrommel und Getöse ins Foyer ein, marschierte zur Bühne und schon begann die ungewöhnliche Musiktheaterperformance des Berliner Künstlerkollektivs „Hauen und Stechen“. Programmatisches Ziel der Gruppe ist es eine neue expressive Musiktheatersprache unserer Zeit zu entwickeln. Darum ist Komplexität in jeder Beziehung angesagt, ob sie sich logisch erschließt, scheint eher Nebensache zu sein, womit der Zeitgeist schon einmal gut eingefangen ist.
Unter der Regie von Julia Lwowski und Franziska Kronfoth verwandelt sich Monteverdis Oper „L´Orfeo“ zum multimedialen Spektakel in bester Castorf-Tradition. Entsprechend baut Yassu Yabara Innenräume, ein Zelt auf der Bühne, der Hades darunter, um mit voyeuristischer Kamera live gefilmt über zwei Projektionsflächen in plakativer Großaufnahme mimischer Expression das Ungesehene sichtbar zu machen auf oder über vorgefilmte Videos atmosphärisch einzublenden (Video Martin Mallon). Die Kostüme, ebenfalls von Yassu Yabara, bleiben in der Ästhetik komödiantischer Übertreibung mit parodistischen Seitenhieben auf unsere Zeit inklusive neonfarbenen Leuchteffekten. Nur La Musica, Sara-Maria Saalmann, leuchtet als Stern in phantastischer Ästhetik.
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Monteverdis´ Orfeo, der seine geliebte, plötzlich verstorbene Euridice zurückholen will, bildet die Basis. Nicht aus einer, sondern aus drei verschiedenen Perspektiven wird der Orfeo-Mythos gespielt und über Mezzosopran, Countertenor und Performance in Szene gesetzt. Gleichzeitig spiegelt ein Liebespaar unserer Zeit die Story. Damit das Ganze noch etwas komplexer wird und die Genderthematik nicht zu kurz kommt, singt Countertenor Onur Abaci nicht nur die Rolle Orfeos, sondern zwischendurch auch die von Euridice und Speranza, die Hoffnung. Simultan kommentiert der alte Orfeo (Edwin Dickmann), mit dem jungen (Thorbjörn Björnsson) als Pennerpaar per Videoeinblendungen das Geschehen. Plutone als gigantischer Albino-Hamster, Herrscher der Unterwelt, avanciert mit Johannes Moosers Wohlfühlbass zum Kuschelfaktor.
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Weitere Motive, die Vertrocknung der Erde, Opferkult inklusive Nebel-Geysir, Symbolik des Granatapfel werden leitmotivisch in erster Linie über die Optik eingearbeitet. Doch kaum ein Text, kaum eine Musik hakt sich nachhaltig fest, manches bleibt unverständlich, überwabert vom Technosound, der bewusst keine Mischung mit Monteverdis Melodien und Harmonien sucht, sondern auf Verformung von Klang und rhythmischen Systemen zielt und die Ohren zuweilen extrem malträtiert, wenn der Sound wie eine Tonstörung klingt.
Letztendlich bleiben nur die Bilder im Kopf, allen voran mit Performer Thorbjörn Björnsson, der sich vom verliebten jungen Kerl mit Sara-Maria Saalmann via Filmbilder bella Italia erobert, mit Onur Abaci als aufgeblasene XXXL-Euridice zum Hampelmann der Sinnlichkeit degradiert, via Videoprojektion als sphärisches Astralwesen nackt immer wieder über der Bühne schwebt und die Oper mit seinen Sprechgesängen erdet. Zwischendurch werden schon bei der Prozession beginnend und dann videomäßig weitergeführt, Hochzeits- und Totenbräuche von einst mit der Realität von heute collagiert. Der dionysische Opferkult mutiert zur ekstatischen Technoparty. Angeheizt von Beats und Spotlight entsteht Club-Atmosphäre, bei der der eigene Körper schnell mitschwingt.
Klug, flott, zeitgeistig ist das zweifelsohne, ein mutiges Experiment, doch etwas Neues, etwas Nachhaltiges entsteht kaum. Längst hat das Castorf-Team diesen Regiestil bis zum Exzess ausgelotet.
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Musikalische Innovationen leuchten nur vereinzelt auf, z. B. in der Continuo-Gruppe mit Cello (Joanna Sachryn/Armand Fauchère) Cembalo (Arturo Del Bo) und E-Gitarre (Robert Prill) oder wenn der schöne Orchesterklang Monteverdis dirigiert von Tom Woods am Synthesizer von Edgar Wiersocki sphärisch weitergeführt wird.
Nach dieser aufgeladenen Inszenierung bleibt nur ein Wunsch, Monteverdi genussvoll im Original zu hören.