©ArnoDeclair
Die 800 Seiten des zweibändigen spanischen Originals hat Jakob Nolte auf ein knappes Zwei-Stundenstück reduziert. Cervantes´ heute reichlich pathetisch wirkende Ausdrucksweise pointiert durch die alten Konjunktivformen wandelt sich schnell in einen äußerst amüsanten Schlagabtausch garniert mit philosophischen Merksätzen, kontrastiert mit Originalpassagen und parodistischem Überfliegen von Kapiteln.
Nur die markanten Handlungsszenen werden belassen, „mit beiden Armen hinein in die Aventiuren“ mit den Riesen, Rittern und Dulcinea. Das hierarchische Verhältnis von Herr und Diener wird auf Reich und Arm des Weltelends geweitet und im Kontrast von Idealismus und Pragmatismus philosophisch hinterfragt. Im zweiten Teil gewinnt Sancho Panza, der sich ohnehin immer als heimliche Hauptfigur und emotionales Zentrum fühlt, Oberwasser. Rebellisch proklamiert er „das Zeitalter der Panzas“. Als Imperator seiner Wunschinsel steht jetzt er anstelle des tapferen Don Quijotes auf dem Container und schwingt die Reden. Doch sein Aufstieg bringt keine Besserung, bestätigt nur die schon bekannte Einsicht. Wer alles hat, zufrieden und glücklich ist, sich nichts mehr wünschen muss, dem bleibt nur noch das Ende.
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Die Inszenierung lebt von der atmosphärischen Verdichtung mit puristischen Mitteln und viel Kampfpantomime , dynamisiert durch den subtilen Pulsschlag sphärischer Musiksounds von Arno Kraehahn entstehen großartige Szenen. Schatten werden zu Riesen, die sich via Projektionen im goldenem Dämmerlicht als Windhüllen enthüllen. In Nebelschwaden werden Ritterschlachten, in Rotstimmung Dulcinea imaginiert. Der ständige Wechsel zwischen Tag und Nacht (Licht Robert Grauel) weitet das Epos quer durch das Leben und die Epochen, vom fahrenden Ritter bis zu den Obdachlosen unserer Tage.
Die Bühne (Stéphane Laimé) visualisiert die „Welt als Musterbild des Unglücks“. Der Container signalisiert das soziale Gefälle, wird Podest für Don Quijotes idealistische Kampfhalluzinationen, die Fron der ausgebeuteten Kreatur, wenn Sancho Panza ihn am Riemen über die Bühne zieht. Der Container ist Blackbox in der Don Quijote in unbekannte Tiefen eindringt, gehalten am Seil quer durch das Foyer und sie wird schließlich zur Insel in erträumter Macht des Gouvernierens.
Ausgesprochen originell gelingen durch Kathrin Plath witzige Kostüme satirische Slapstickeinlagen. Wie Wolfram Koch seine elastische Hose über die adipös aufgepolsterten Bauchringe hochschiebt, wie der Schritt der Hose vor und nach seinem Auftrag als Liebesbote bei Dulcinea durchhängt, das T-Shirt als Flamencokleid herabwallt, als er von ihr erzählt, wie er die Wörter doppelsinnig betont, provoziert einen Lacher nach dem anderen.
Mit einem langen Ziegenbart, zwei flatternden Alufolien und Blumenkranz als Helm, wird Ulrich Matthes als Don Quijote nicht nur Ritter von der traurigen Gestalt, sondern eine zart poetische Reminiszenz, schon ganz abgehoben von der Welt, ein halluzinierender Wirrkopf, der im eigenen Schatten an Größe gewinnt und sich im zweiten Teil der eigenen Verwirrung berührend bewusst wird.
Zusammen sind Ulrich Matthes und Wolfram Koch ein grandioses Paar am Rande der Gesellschaft, erfolglos um ein besseres Leben kämpfend verortbar überall und jederzeit verortbar.