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Edward Yangs Filmklassiker „Yi Yi“ nach über 20 Jahren wieder im Kino

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Edward Yangs Filmklassiker „Yi Yi“ nach über 20 Jahren wieder im Kino

©Rapid Eye Movies

„Yi Yi“ beginnt mit einer Hochzeit und endet mit einer Beerdigung. Dazwischen pulsiert…

das Leben einer Mittelklassefamilie in Taipeh, deren Alltag ins Wanken gerät. 

NJ Jian ist mit Min-Min verheiratet, hat eine Teenager-Tochter und einen kleinen Sohn. Er ist Teilhaber einer erfolgreichen Computerhardware-Firma, die aber einen Produktwechsel braucht, um nicht bald bankrott zu gehen.

An dem Tag, an dem sein Schwager A-Di heiratet, scheint es bergab zu gehen. Min-Mins Mutter erleidet einen Schlaganfall und wird zum Pflegefall. An diesem Tag trifft NJ zufällig seine Jugendliebe, die er seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat. 

Vor über 20 Jahren wurde Edward Yangs letzter und wohl bedeutendster Film „Yi Yi“ mit dem Preis für die beste Regie bei den Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet. Jetzt ist „Yi Yi“ in einer neuen 4K-Fassung wieder zu sehen. Der Film hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt.

In langen Einstellungen entfalten sich „Yi Yi“, zu Deutsch Schritt für Schritt aus verschiedenen Perspektiven familiäre, nachbarschaftliche und berufliche Konstellationen, die den Protagonisten den Boden unter den Füßen wegziehen, sie ratlos oder schuldbehaftet zurücklassen. Liebespaare lassen den Kopf hängen. Freundschaft neben Liebe wird nicht akzeptiert. Eifersucht führt zur Gewalttat. Der Start in ein zweites Leben will trotz günstiger Situationen nicht gelingen. Jede einzelne, auch noch so kleine und alltägliche Szene steht für das Ganze, für das Leben im Gefängnis der eigenen Gefühle. Das trifft ganz besonders auf NJ zu, der sich von seiner großen Liebe einst so dominiert fühlte, dass er sie verließ. Obwohl sich jetzt beide gestehen, täglich aneinander gedacht zu haben, finden sie nicht zueinander. 

Wie isoliert die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen sind, spiegelt sich über Generationen hinweg sogar schon im Verhalten von  NJs kleinem Sohn Yang-Yang. Durch seine kindliche Direktheit und ungewöhnlich reflektierte Art bekommt der Film eine charmant melancholisch ironische, aber auch kämpferisch hoffnungsvolle Facette. Die kranke Großmutter will Yang-Yang nicht mit immer den gleichen Erzählungen langweilen. Mit seiner Fotokamera fokussiert er auf scheinbar ungewöhnliche Motive wie die Hinterköpfe der Menschen, um ihnen das zu zeigen, was sie normalerweise nicht sehen können. Im Waschbecken, später im Schwimmbad lernt er das Tauchen, um seiner Freundin zu imponieren und beim Begräbnis der Großmutter entschließt er sich, den Ort zu finden, wo sie jetzt vielleicht ist.

Die Dialoge sind sehr reduziert. Der Film spricht durch die Bilder. Harte Schnitte verstärken die Simultaneität der Ereignisse und den zunehmenden Individualismus. Das Leben passiert nicht linear nacheinander, sondern nebeneinander in immer neuen Variationen. Jeder kämpft für sich allein und ist auf seine Weise einsam. Yang macht es sichtbar, wenn er seine Protagonisten filmt, wie sie in aller Stille nachdenken, wenn die Dunkelheit das Handeln verhüllt. In diesen ganz ruhigen, meditativen Sequenzen bleibt genügend Zeit für empathisches Einfühlen. Das berührt genauso wie vor über 20 Jahren. Das Leben gibt keine endgültigen Antworten und die Gefühle der Menschen ändern sich über Generationen hinweg nicht grundlegend, nur Schritt für Schritt in kleinen Nuancen. Wir müssen uns wie die Kinder aus dem unvollständigen Verstehen mehr Wissen aneignen.

Künstlerisches Team: Edward Yang (Drehbuch, Regie), Yang Wei-han (Chef-Kameramann)

Mit: Wu Nien-jen, Kelly Lee, Jonathan Chang, Elaine Jin, Issey Ogata