"Kultur macht glücklich"


Sophia Fritz „Toxische Weiblichkeit“

Veröffentlicht am:

von

Sophia Fritz „Toxische Weiblichkeit“

©Hanser Verlag 2024

Toxische Männlichkeit ist inzwischen ein fester Begriff für alle negativen Grenzüberschreibungen der maskulinen Welt. Toxische Weiblichkeit wurde…

bislang in der feministischen Literatur kaum thematisiert. Der Begriff, der manipulative Macht- und Kontrollausübung präzisiert,  klingt zunächst frauenfeindlich und dadurch kontraproduktiv. Sophia Fritz ist sich dieser Problematik sehr bewusst, will aber keine misogynen Konzepte reproduzieren, sondern sie dekonstruieren. Sie analysiert die Wirkungen toxischer Weiblichkeit, in Bezug auf das Verhalten gegenüber Männern, um daraus Handlungskonzepte zu entwickeln, denn das Erkennen hilft wenig, wenn man es nicht aktiv im Alltag umsetzen kann. 

Wie Frauen sich verhalten, richtet sich in patriarchalischen Gesellschaften immer noch sehr nach männlichen Vorstellungen. Sieht die Frau nicht so aus, macht sie nicht das, was sich Männer von ihr erwarten, muss sie mit Diffamierung, Beschämung und Ausgrenzung rechnen.

Fünf toxische Frauenrollen analysiert Fritz, das gute Mädchen, die Powerfrau, die Mutti, das Opfer und die Bitch. In der Ich-Perspektive vor autobiografischen Hintergrund geschrieben wirkt ihre Argumentation sehr persönlich und emotional, auch wenn sie zunehmend andere Positionen zitiert. Fritz beansprucht allerdings auch keine Deutungshoheit. Sie will nur Impulse geben, um die Wahrnehmung toxischer Weiblichkeit zu erkennen und Frauen damit zu stärken.

Sich selbst sieht sie als Beispiel für „das gute Mädchen“. Durch die Erziehung und Zeitschriften wie „Bravo“ wurde sie gedrillt, sich anzupassen, um den Maßstäben der Männerwelt zu entsprechen. Sie fügte sich liebenswürdig ein, um nicht ausgegrenzt zu werden. Die Formulierung „ich will“ kam in ihrer Sozialisation gar nicht vor, aber sie fühlte sich in vielen Lebenssituationen sehr unwohl. Wenn sich ein Mann nicht für sie interessierte, empfand sie es als ihre eigene Schuld. Fritz will nicht die Gute-Mädchen-Eigenschaften abstellen, fordert aber souverän und intrinsisch leben zu können, nicht ständig unter gesellschaftlichen Druck handeln zu müssen. „Frauen fühlen, wenn sie sich in in einer unangenehmen Situation befinden, aber sie können dieses Gefühl nicht in Handlung umsetzen“.

Gute Mädchen entwickeln sich oft zu Powerfrauen. Durch extreme Selbstoptimierung werden sie erfolgreich, wobei sie sich genauso den männlichen Anforderungen unterwerfen und die eigenen Bedürfnisse unterdrücken wie die guten Mädchen. 

Die Rolle der „Mutti“ analysiert Fritz unter dem Aspekt der völligen Hinwendung zum Kind bis zur Selbstaufgabe. Man respektiert Mütter, unterwirft sie den Regeln einer patriachalischen Gesellschaft und beschimpft sie, wenn sie sie nicht erfüllen. Dabei spannt Fritz den Bogen von Mutti Merkel, über die mediale Vermarktung der perfekten Ehefrau bis zur heiligen Maria und ihrem persönlichen Erleben der Kirche. Die Wut der Frauen über fehlende Wahrnehmung und Wertschätzung in der Familie entlarvt sie als Machtmittel toxischer Bemutterung. Fritz fordert zu Recht, die Qualitäten der Mütterlichkeit neu zu definieren. 

Die Unterwürfigkeit zu instrumentalisieren, darin sind „die Opfer“ Expertinnen. Sie entfernen verursachte Fehler, hüllen sich in Schweigen und lassen anschließend ihren Partner im schlechten Gewissen braten. Derartiges Verhalten verhindert eine klare Kommunikation und zerstört Vertrauen. Dass es auch anders geht, erklärt Fritz an Betty Martins Modell des „Wheel of Consent“. Indem man hinterfragt, wer gibt und wer nimmt, und das auch formuliert, kann jeder seine Handlungsmöglichkeiten in alltäglichen Situationen analysieren und transparent machen.

Der Prototyp „Bitch“ umfasst zwischen „misogynem Schimpfwort, feministisch positivem Reclaming“ die größte Spannbreite. Superstars wie Beyoncé und Rihanna outen sich bewusst als Bitch auf Egotrip, um zu signalisieren, dass sie sich völlig unabhängig, niemanden gegenüber verpflichtet fühlen. Konkurrenzkampf, Lügen, Stutenbissigkeit, Shoppingrausch spiegeln aber wiederum nur die Folgen eines patriarchalischen Systems, das Frauen auf bestimmte Rollen einengt, was den Bitches wiederum ermöglicht, mit toxischer Weiblichkeit als aggressive Gegenstimme aufzutreten.

Fritz’ Resümee überzeugt. Frauen können nicht länger warten, bis sich die Männer ändern. Sie müssen ihre eigenen toxischen Eigenschaften, die Gleichberechtigung verhindern, analysieren, um die eigenen Dissonanzen zu überwinden und stabile Beziehungen aufbauen zu können. „Wer sich traut, sich seinen eigenen toxischen Verhaltensweisen zu stellen, befreit sich selbst.“

„Toxische Weiblichkeit“ ist ein interessantes Buch, weil Fritz in typischen Frauenrollen das toxische Potenzial entdeckt und den Umgang damit in die selbstständige Verantwortung der Frauen gibt. Frauen sollen sich ihre positiven Fähigkeiten wie Empathie nicht nehmen lassen, sondern sich selbst befreien. Mit diesem Buch setzt Fritz aus einem sehr persönlichen Anliegen heraus einen markanten Impuls „sich mit toxischer Weiblichkeit“ auch gesellschaftlich auseinanderzusetzen.

Sophia Fritz (*1997) studierte Drehbuch an der Filmhochschule in München studiert. 2021 erschien ihr Debütroman „Steine schmeißen“, 2022 folgte „Kork“, 2023 die Erzählung ‚Frankfurter Kranz‛ in der Anthologie Glückwunsch. 15 Erzählungen über Abtreibung. Sie schreibt für ZEIT ONLINE und hat eine Ausbildung als Jugendguide für Gedenkstätten, als Sterbebegleiterin im Hospiz und als Tantramasseurin. Toxische Weiblichkeit ist ihr erstes Buch bei Hanser Berlin. Unter ehrlichleben.de bietet sie ein Kursprogramm an.

Sophia Fritz: Toxische Weiblichkeit, Hanser Verlag, Berlin 2024, 192 S. 

ählmarke – SSL (https://…)